#Roman

Stadt der Fremden

Martin Auer

// Rezension von Sabine E. Dengscherz (Selzer)

Was macht ein österreichischer Schriftsteller in Nairobi? Urlaub eventuell. Oder er ist auf Lesereise. Wird von einer Institution zur anderen herumgereicht. Dazwischen zum Initiator des ersten „Slum“ im Internet, einmal ausgeraubt, fast eingesperrt und dann wieder von reichen Landsleuten eingeladen. Und er hat das Gefühl, als einziger nicht zu wissen, was gespielt wird. So ist das in Kenia.

Mit viel Selbstironie berichtet Martin Auers Ich-Erzähler in Stadt der Fremden von seinem kenianischen Abenteuer. Eingeladen von einem exklusiven Kreis der wohlsituierten deutschsprachigen Gesellschaft Nairobis, begnügt er sich nicht damit, ein paar Lesungen zu halten, sondern nimmt auch intensiv Kontakt zu den Einheimischen auf und seinen Bildungsauftrag viel ernster, als von gewissen Kreisen erwünscht.

Unangenehm berührt von der bekannten, aber nun sehr eindringlich sichtbar werdenden Tatsache einer sehr ungleichen Güterverteilung in der Stadt, versucht er, den bildungshungrigen Bewohnern eines Slums Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten: ihnen ein Forum zur Verfügung zu stellen, in dem sie ihre Anliegen weltweit publizieren können. Und er versucht, ihnen auch das technische Know-How dafür zu vermitteln. So entsteht eine gemeinsame Homepage: „the first slum on the internet“.

Dass einer der ansässigen österreichischen Unternehmer mit dem Territorium, auf dem sich die Wellblechhütten drängen, ganz eigene Pläne hat, steht wieder auf einem anderen Blatt – und auf keiner Homepage. Fasziniert von der schönen Journalistin Njoki Wambui, der „ersten Maasai-Kriegerin“ mit deutschen Vorfahren, stürzt sich der Ich-Erzähler in ein Geschehen, dessen Zusammenhänge ihm ein Rätsel bleiben, macht sich nicht nur Freunde, stolpert über eine Leiche und gerät in Schwierigkeiten mit der Polizei.

Jugendlich verliebt in die dunkelhäutige Njoki, schläft er mit zwei anderen Frauen, fremd bleiben ihm alle drei. Nairobi entpuppt sich als die Stadt der Fremden schlechthin. Hier ist niemand zu Hause, alle sind nur auf der Durchreise, selbst jene, die hier wohnen und arbeiten. Der von seiner Angebeteten ironisch „Dichter“ Genannte bleibt ebenso fremd unter Fremden. Zur so genannten feinen Gesellschaft will er nicht, und zu den Kenianern kann er nicht gehören.
Er entwickelt lediglich ein Helfersyndrom, wohl wissend, dass die Welt nicht zu ändern ist. Dass die Straßenkinder weiterhin Klebstoff schnüffeln und daran zu Grunde gehen werden, auch wenn er ihnen statt Geld Bananen schenkt. Dass seine Freunde im Slum durch ihn zwar neue Möglichkeiten kennen lernten, er als generöser Spender einer Infrastruktur – deren Gegenwert sie in Jahren nicht verdienen würden – ihnen aber auch eine Welt gezeigt hat, in der sie Außenseiter bleiben, eine Welt, die sie sich nicht leisten können.

Njoki weiß sein Engagement zu schätzen und gibt ihm doch zu denken, er habe schwer zu verwirklichende Sehnsüchte geweckt. Nein, falsch gemacht habe er nichts, das einzige Problem bestehe darin, dass er eigentlich gar nicht hier sein sollte. Der „zivilisierte Westen“ habe das Land mit Werten überschwemmt, die hier nichts verloren haben. Europa habe Jahrhunderte Zeit gehabt, einen technischen Status quo von heute zu entwickeln, von der so genannten Dritten Welt könne man dasselbe nicht in wenigen Jahren erwarten.

In schlichter Sprache erzählt der vor allem als Kinderbuchautor bekannte Martin Auer von sozialen Anliegen und Problemen, von einer Gesellschaft, in der die Schwächeren gnadenlos ausgenützt werden, von Ungerechtigkeit, Korruption, Liebe und Freundschaft. Vom gescheiterten Versuch, sich in eine Kultur einzuleben, die der eigenen so völlig fremd ist.
Ein trauriger Roman, aber auch ein engagierter, einer, der den hochnäsigen Totalitarismus „westlicher“ Werte in Frage stellt.

Martin Auer Stadt der Fremden
Roman.
Wien: Mandelbaum, 2003.
200 S.; brosch.
ISBN 3-85476-083-3.

Rezension vom 14.06.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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