#Lyrik

Spiegelbild und schwarzer Spuk

Alfred Brendel

// Rezension von Iris Denneler

Für diesmal beginnt es ganz un-dantisch im Paradies, dieser Gang durch die Weltgeschichte, die sich mittlerweile in ein Sammelsurium und Kuriositätenkabinett entsündigt hat – eine liebenswert verstaubte Tragikomödie, der wir quasi von hinten, spiegelbildlich, folgen („Im Paradies angekommen/ fragen wir uns/ skeptisch bis zum letzten/ Was geht hier eigentlich vor“).

Engel und Teufel I und II, Götter und Monstren, Buddhas und Weihnachtsmänner, Geister und Erscheinungen, Menschen und Phantome, Tiere und Typen, Masken und Bilder, Lachmann und Witz bevölkern diesen Kosmos (wie überhaupt gute und böse Geister die Szenerie beherrschen). Über allem die zahlreichen Engel zum himmlischen Vergnügen, aber auch ein Einflüsterer wie Emil, der – vielleicht Genius, vielleicht Hausgeist, vielleicht auch nur ein schnödes E-mail – als Daimon fungiert (doch, ohne „von Emil mit Metaphern versorgt“, versank „das Leben in Ernst oder Ulk“). Dazu gibt’s Nachdenklichkeiten über Lärm und Stille, Kurz und Klein, Sinn und Unsinn, Spiegelbild und Spuk und, zum Abschluß, den Dank des Autors. Dieser hat, nach knapp dreihundert Seiten, dem „blindwütigen Schicksal“ die Augen geöffnet, „daß du mich glücklich machst/ blindlings/ und für den Blitz eines Augenblicks“.

Der Leser darf getrost dieses Entzücken teilen: Er liest und blättert und wird nicht müde, dieses Vexierkabinett großer und kleiner Katastrophen zu durchschreiten. Sein Schöpfer, Alfred Brendel, wandelt darin als ein Ich, das sich hinter immer wieder neuen Personen versteckt (kein Wunder also, daß Brendel leidenschaftlich Masken liebt und sammelt). So tut der Leser gut daran, nicht sogleich seiner biographischen Neugier zu frönen, wenn sich dieses Ich auch bisweilen ganz naiv gebärden mag: Es ist das Ich der großen Narren und Unschuldsengel.

Dennoch packt einen früher oder später die teuflische Lust, aus den Gedichten diejenigen herauszupicken, die sich Brendels eigenstem Metier widmen, der Musik. Mit Ironie und Selbstironie heißt es da, lausche, „Abgeschirmt von den Geräuschen der Welt/ … der Komponist/ seiner inneren Stimme“, die ihn zu einem siebzehnfachen pianissimo und einem fünfzehnfachen f führt, zu Idiosynkrasien wie dem CIS und dem DES, zum liebenswert-schrulligen Abwehrreflex gegenüber Kollegen (Meyerbeer, Brahms III, Beethoven, dem Klavierpoeten oder dem Pianisten mit dem dritten Finger). Auch diese Doppelgänger sind Doppelwesen, agieren zwischen Hohem und Niedrigem, Ernstem und Lächerlichem, gehören zu den Brendelschen Hauskunstwerken und Schutzgeistern, wovon einer, als collagierte Figur von Elisabeth Haas, Eingang in das Titelbild gefunden hat. Oben Affe, unten Putto, geziert mit auf die Hüfte verrutschten Engels- oder Hermesflügeln – ein Geschöpf, so ganz nach dem Geschmack seines humorigen Autors.

„Daß er der Größte war/ daran zweifeln wir nicht… Aus seinem Kopf wuchert der Lorbeer/ durch die wundertätigen Finger/ schießen Veilchen und Löwenzahn“, berichtet uns das Gedicht „Maßstab“; und dann versammeln die Trostbedürftigen sich, des Pianisten abgespreizte Hände zu küssen, bis die Menge alles abgeknabbert hat. Eine Lust- und Angstphantasie, wie es wohl auch das Poem über den Lärm ist, das uns glauben machen will, „daß Lärm die Lebensgeister weckt“. Über solcherlei Spukabwehr und Woodoozauber darf man lachen, aber, wie es gleich heißt, bitte nicht zu toll. Denn: „Ob man lachen darf/ lachen oder kichern/ worüber/ bei welcher Gelegenheit/…“, ist nicht so einfach zu beantworten. Schon mischt sich eine Träne ins Gegluckse. „Rücksichtsvoll sei das Lachen/ weder schrill noch schnarchend… Man muß es richtig dosieren“. Und damit hätte sich’s wohl endgültig ausgelacht, – wäre nicht, wie man schon ahnt, das Leben selbst der beste Witz (etwa in Gestalt von Dr. Lachmann und Dr. Witz, den Brendelschen Blinddarm-Operateuren). Vor allem aber ist es die Sprache, die in ihrer schillernden Signifikanz und Musikalität – im Bechstein steckt ein Steckbein – das erheiternde Gegenmittel zum Wesen und Unwesen aller kosmischen Schreckgespenster bereit hält.

So wird diese Lektüre – ergänzt durch Bilder, die die Wände des Brendelschen Hauses zieren und, wie wir erfahren, nicht selten als Inspirationsquelle dienten – von Seite zu Seite heiterer; eine anregende Levitation, die Ernst und Schrecken gebannt hat – für uns, wohl aber auch für ihren Autor, der uns in diesen teils zuvor schon veröffentlichten, jetzt neu zusammengestellten Dichtungen so etwas wie ein verstecktes Tagebuch übergeben hat. Eine Lebensspur, worin „selbst das zärtlichste Gedicht/ sei es freischweifend oder prosodisch/ als Echo kosmischer Katastrophen/ wahrgenommen werden darf“. Wissen wir. So ist das Paradies.

Alfred Brendel Spiegelbild und schwarzer Spuk
Gedichte.
München: Hanser, 2003.
288 S.; geb.
ISBN 3 446 20349 4.

Rezension vom 17.11.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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