#Anthologie

Sonnenfinsternis / Als Zeuge der Zeit / Ein spanisches Testament / Ein Gott der keiner war

Arthur Koestler

// Rezension von Michael Rohrwasser

Zum 100. Geburtstag von Arthur Koestler (1905 in Budapest geboren), sind eine Reihe seiner Bücher, die seit Jahren vergriffen waren, wiederaufgelegt worden, darunter auch sein berühmtestes, „Darkness at Noon“ (im Impressum des Nachdrucks fälschlich „Dark at Noon“), das 1940 auf Englisch erschienen war (die früheren Bücher hatte Koestler auf Deutsch geschrieben). In Frankreich hieß der Roman „Le Zéro et l’Infini“ (weil der Wert eines Individuums in der sozialen Gleichung des Staatskommunismus entweder null oder unendlich ist), in der deutschen Ausgabe schließlich Sonnenfinsternis.

Die Sonne der Kommunisten und der fellow traveller hatte sich verdüstert, das Licht aus dem Osten, das mit dem Wahlsieg der Nationalsozialisten besonders hell aufleuchtete und für nicht wenige die letzte Hoffnung versprach, war (nicht nur für Koestler) im Stalinschen Terror erloschen. Das Rätsel der Schauprozesse in den Jahren nach 1936 mit den obskuren Selbstbezichtigungen der alten Kampfgefährten Lenins provozierten die einen (Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Ernst Bloch, Hermann Budzislawski und andere) zu halsbrecherischen Verteidigungen, während andere ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus eine antitotalitäre Richtung gaben (Willi Münzenberg, Hans Sahl, Willi Schlamm, Leopold Schwarzschild, Ignazio Silone, André Gide und andere). Die wirkungsvollste Stimme dieser versprengten und durch die moskautreuen Intellektuellen verfemten Gruppe gehörte Arthur Koestler, der nach der Veröffentlichung seines Romans, in dem er das Rätsel dieser Geständnisse lösen wollte, zu einem der Bestgehassten wurde. Er galt bald als die Personifikation des politischen Intellektuellen, der nichts mehr verabscheute als den „Virus der Neutralität“ oder den Rückzug in einen Elfenbeinturm. Sein Werk war ein brisantes Amalgam von (Sensations-)Journalismus, Essayistik, Literatur und Agitation – und Arthur Koestler hatte nie Deckung hinter seinen Schreibtischen gesucht, er kannte keine Scheu vor Rednertribünen und suchte stets die Einmischung und Konfrontation.

Mit der morgendlichen Verhaftung zu Beginn des Romans wie mit der demütigenden Exekution zu Ende verweist er auf Franz Kafkas berühmten Roman „Der Prozess“, so als würden hier nun Konkretion und Entschlüsselung nachgeliefert.
In Sonnenfinsternis wird eine doppelte Entwicklung sichtbar, zum einen die Loslösung des Angeklagten Rubaschow, der Züge von Nikolai Bucharin, Karl Radek und seinem Autor trägt, von der kommunistischen Bewegung, zum andern eine zunehmende Leuchtkraft. Nicht zuletzt durch die Parallelisierung mit der Französischen Revolution gewann der Stalinismus eher ungewollt die Würde eines philosophischen Entwurfs (der Fehlschluss dieses Entwurfs war der, dass im Blick auf die große Zahl der Opfer auf eine große Idee geschlossen wurde).

Neben George Orwells „Nineteen Eighty-Four“ („1984“) und „Animal Farm“ ist Sonnenfinsternis der berühmteste Roman über Stalinismus und staatskommunistisches Lager geworden; und vermutlich haben nur wenige andere literarische Werke eine größere politische Sprengkraft entfaltet. Koestler, der in den dreißiger Jahren Strategie und Stil im „Konzern“ von Willi Münzenberg gelernt hatte, hätte kaum Einwände gehabt, seinen in 30 Sprachen übersetzten Roman eine „ideologische Waffe“ zu nennen. Die französische KP trug zu seinem Erfolg bei, indem sie versuchte, die gesamte erste Auflage aufzukaufen und verschwinden zu lassen.
Im Nachkriegsdeutschland war es eher sein Essay „Der Yogi und der Kommissar“, den Axel Eggebrecht 1945 in den „Nordwestdeutschen Heften“ publiziert hatte, der eine ähnlich starke Wirkung entfaltete, weil die Leser mit einem scharfsichtigen Bild des Kommunismus konfrontiert wurden, das wenig mit dem vom „jüdischen Weltbolschewismus“ und noch weniger mit der pompösen staatskommunistischen Theaterdekoration der Nachkriegszeit im Osten zu tun hatte.

Koestlers gewichtigstes und beeindruckendstes Werk bleibt aber wohl doch seine mehrbändige Autobiographie, aus der er kurz vor seinem Freitod 1983 eine Auswahl traf, und die nun unter dem Titel „Als Zeuge der Zeit“ als Taschenbuch wiederaufgelegt worden ist. Alle früheren, weit umfangreicheren Ausgaben wie „Pfeil ins Blaue“, „Die Geheimschrift“, „Abschaum der Erde“ oder „Auf fremden Plätzen“ sind nur noch antiquarisch erhältlich; dasselbe gilt für die meisten seiner politischen Essays und für politische Romane wie „Gottes Thron steht leer“. Koestler, der prägnante knappe Formeln liebte, spricht in seinem Vorwort vom „Chronistendrang“ und dem „Ecce-Homo-Motiv“ als den beiden Beweggründen, eine Autobiographie zu verfassen, und er sieht zwei Fallen für den Autor: die „sentimentale Falle“ und die der „falschen Bescheidenheit“. Klar wird bei der Lektüre, dass Koestler sich eher als Chronist denn als Selbstenthüller versteht, und klar ist auch, dass die Versuchung von falscher Bescheidenheit ihm fremd war. Zählt man nur einige der wichtigsten Stationen seines Lebens auf (großbürgerlich-jüdisches Elternhaus in Budapest, führender Journalist im Berliner Ullstein-Verlag, Siedler-Tätigkeit in Palästina und Mitarbeit in zionistischen Kreisen, Eintritt in die antizionistische KPD, einjähriger Aufenthalt in Sowjetrussland, Mitarbeit in Willi Münzenbergs Pariser Propaganda-Apparat, unter anderem für das „Braunbuch“ gegen den Reichstagsbrand, als Kriegsreporter im Spanischen Bürgerkrieg, Verhaftung durch die Falangisten, drei Monate in der Todeszelle, Deportation ins Internierungslager Le Vernet, Flucht nach England, Freiwilliger in der englischen Armee, nach dem Kriegsende Rückkehr nach Frankreich, antitotalitärer Streiter auf vielen Bühnen, Ruhm als erfolgreicher Publizist und Romancier), dann ist klar, dass die Versuchung eine ganz andere war, nämlich seine Lebensgeschichte zum Sinnbild der Geschichte der ersten Jahrhunderthälfte zu erklären. Kaum zu leugnen, dass sich diese Lebensgeschichte auch als Roman der Geschichte verstehen lässt, die den Leser manches lehrt, und schwer, sich seiner erzählerischen Kraft zu entziehen.

Koestlers erstes autobiographisches Kapitel entstand bald nach seiner Freilassung aus den Kerkern Francos. Die Erinnerungen an die Zeit in den Kerkern Francos (das Kernstück des Buches bilden die Tagebuchaufzeichnungen aus der Haftzeit in Sevilla) erschienen 1937, zuerst in Fortsetzungen in „News Chronicle“, und sind inzwischen ebenfalls wieder aufgelegt worden: Ein spanisches Testament. Walter Benjamin gehörte zu den ersten Lesern des Buches und schätzte es, er schätzte aber auch Koestler, nicht zuletzt als Partner beim samstäglichen Pokerspiel in Paris.

Auch der berühmte Sammelband von 1949, Ein Gott der keiner war ist wieder aufgelegt worden, mit einem Titelbild, auf dem eine entblößte Muse mit der einen Hand Josef Stalin das Kinn streichelt und sich mit der anderen gegen den Schattenwurf des Tyrannen lehnt – leider sucht man in dem Reprint (der auch die letzten Seiten mit dem Nachwort von Franz Borkenau und den Kurzbiographien der Autoren ausspart) vergeblich nach einem Hinweis auf den Maler. Der Band enthält sechs Beiträge aus der Feder von ehemaligen Kommunisten oder Sympathisanten, unterteilt in „Die Aktivisten“ (Koestler, Ignazio Silone, Richard Wright) und in „gläubige Jünger“ (André Gide, Louis Fischer und Stephen Spender). Die Beiträge erschienen zuerst in der Zeitschrift „Der Monat“, später auch in der Reihe der „Roten Weißbücher“, die in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands geschmuggelt wurde.
Der Reprint ist angereichert mit einem Vorwort von Wolfgang Leonhard, dessen Mutter lange Jahre in den Stalinschen Lagern verschollen war (sie schrieb nach ihrer Entlassung einen eindringlichen Lagerbericht, „Gestohlenes Leben“, der nach fünfzig Jahren eine Wiederauflage verdient hätte). Herausgegeben ist der Band von dem englischen Kongressabgeordneten Richard Crossman, der in seinem Vorwort schreibt: „Wir waren nicht im mindesten daran interessiert, die Flut anti-kommunistischer Propaganda noch mehr anschwellen zu lassen“ – dem muss man keinen Glauben schenken. Es ist ein frühes und beeindruckendes Dokument der antitotaliären Linken, die im Nachkrieg stets im Ruch standen, den nationalsozialistischen Antibolschewismus fortzuführen oder im Sold des amerikanischen Geheimdienstes zu stehen. Ein Jahr später, im Juni 1950, organisierte diese antitotalitäre Linke in Berlin einen „Kongress für kulturelle Freiheit“, auf dem Koestler wieder die Bühne eroberte (dass über die Ford-Foundation auch hier CIA-Gelder geflossen waren, ohne Wissen der meisten Beteiligten, tut der Bedeutung des Kongresses keinen Abbruch). Auch davon ist einiges, wenn auch nicht alles, in seiner Autobiographie nachzulesen. Seine antitotalitäre Frontstellung und seine kämpferischen wie suggestiven Formeln haben tiefe Fährten hinterlassen und nicht nur die Literatur seiner Zeit geprägt.

Arthur Koestler Sonnenfinsternis
Roman.
Hamburg: Rotbuch, 2005.
272 S.; brosch.
ISBN 3-434-54525-5.

Arthur Koestler Als Zeuge der Zeit
Autobiographie.
Frankfurt: S. Fischer, 2005.
464 S.; brosch.
ISBN 3-596-16143-6.

Arthur Koestler Ein spanisches Testament
Zürich: Europa Verlag, 2005.
242 S.; geb.
ISBN 3-85665-516-6.

Arthur Koestler Ein Gott der keiner war
Zürich: Euorpa Verlag, 2005.
286 S.; brosch.
ISBN 3-85665-514-X.

Rezension vom 08.11.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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