Gekonnt werden Gefühle der Sehnsucht und Einsamkeit in der Kindheit bildlich umgesetzt, und das besonders eindringlich durch die doppelte Du-Perspektive des Kindes und der entsprechend komplexer, da distanzierter reflektierenden Erwachsenen. Die Reflexionen gelten jedoch weniger der Langeweile beim ewigen Warten, sondern vielmehr der Sprache und ihren Ausformungen, sodass sich schließlich die Sommerverschwendung als identitätsstiftende und kreative Entwicklungsphase entpuppt.
Insofern startet der in sechs Kapitel gegliederte „Countdown“ (5-4-3-2-1-Lift off) wenig überraschend mit Gedanken zur „Muttersprache“, der Sprache der Mutter, „eine ans Hochdeutsche angelehnte, siebenbürgisch gefärbte, durch Flucht und lebenslange Assimilation durchgewalkte und mit Bruchstücken ebendieses linzkleinmünchnerischen Dialekts angereicherte endemische Spielart des Deutschen“ (9). Die ungarische Sprache des 1954 geflüchteten Vaters beherrscht das Mädchen kaum, sehnt sich aber danach, den Wortschatz zu heben, „um das zu sagen, was du jetzt nicht sagen kannst“ (121), sie hungert nach Worten, nach „Sprachfleisch“ (215).
Wenngleich bisweilen verunsichernd (Welche Worte sind erlaubt und außenwelttauglich?) und als fremd markierend, ist es gerade diese „Zwischensprache“ (22) die die Kinder in die jeweiligen Lebensgeschichten zweier Flüchtlinge einbindet, eröffnet sie doch Raum für Freiheit, Spiel und Sprachreflexion: „Das Wort selyemhernyó kann alles Mögliche bedeuten, du könntest dir darunter einen alten, verstellbaren, gepolsterten Zahnarztsessel vorstellen, wie du ihn in der Dorfarztpraxis deines ungarischen Onkels gesehen hast, aber auch einen Semmelknödel, wenn dir das Kinderlexikon anhand eines Bildes nicht suggerieren würde, dass der Begriff etwas mit Raupen oder Schmetterlingen zu tun hat.“ (20)
Der Rückzug in die Sprache wird nicht zuletzt durch die Lektüre von Astrid Lindgrens Bullerbü-Büchern getriggert, gleichsam ein Initiationsritus in die dem Sprechen vorzuziehende Welt des Schreibens, des „Zauberns“ (65) mit Stift und Papier, des Kreierens einer Gegenwelt zum „Stahlstadtrandkindlebensgefühl“ (107). In dieser Gegenwelt herrscht eine andere Zeitrechnung, das Schreiben erlaubt Langsamkeit, verkörpert durch eine „zugelaufene“ Schildkröte, eben die „Schildkrötenzeit“ (71). Ohne explizit Nostalgie bedienen zu wollen, evoziert Schwarcz mit Hilfe ausgewählter ‚Requisiten‘ (Kinderserien, Eissorten, Liedzeilen, Lektüren) ein Bild des Alltags in den späten 1970er Jahren, gibt ein Stück Kulturgeschichte wieder und leistet zugleich Medienkritik. Ein bisschen Melancholie scheint aber doch gegen Ende durch, wenn die Protagonistin beim Aufbruch nach Ungarn im VW-Bus erkennen muss: „Gerade in dieser Zimmerstille, kommt dir vor, hast du dich doch am lebendigsten, am meisten bei dir gefühlt, oder etwa nicht?“ (209 f.)