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Söhne und Planeten

Clemens J. Setz

// Rezension von Georg Renöckl

Nackte Dichter führen im Schwimmbad ebenso geistvolle wie inhaltsleere Gespräche. Ein junger Autor fühlt sich durch die rätselhafte Krankheit seines kleinen Sohnes bedroht und zieht sich zunehmend von Frau und Kind zurück. Der Selbstmord eines Schriftstellers zerrüttet einen Freundeskreis und zerstört das Leben seiner Verlobten und ihres Kindes.

Heiter sind die vier ineinander verwobenen Erzählungen, aus denen sich der Roman Söhne und Planeten zusammensetzt, nicht. Und doch liest sich das Prosadebüt des 26-jährigen Clemens J. Setz erstaunlich unterhaltsam. Ein Grund dafür dürfte die Lust des Autors am Absurden und Surrealen sein. So scheitert einer der vielen Schriftsteller im Text daran, Kafkas Erzählungen fortzusetzen, ein weiterer erlebt dafür eine Samsasche Verwandlung am eigenen Körper, und wieder einem anderen wächst eine Weizenähre aus dem Ohr, die er regelmäßig zurechtstutzen muss, um nicht aufzufallen. Anfangs unmerklich mischen sich immer wieder Wahnvorstellungen in die Wirklichkeit von Söhne und Planeten, bis die beiden Ebenen nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Wechselnde Erzähler und ausführliche Zitate von Defoe bis Tschechow machen den kurzen Roman zudem beeindruckend vielstimmig.

Im Gegensatz zur Ankündigung auf dem Klappentext geht es darin bei weitem nicht nur um komplizierte Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen. Eigentliches Thema ist das Scheitern der Protagonisten auf so gut wie allen Beziehungsebenen, vor allem aber an ihrer Geschlechterrolle. „Das seltsame Verhalten der Männer. Naturgemäß bleibt es mir immer ein Rätsel“ meint einer von ihnen, der Jungliterat René Templ. Er hadert mit dem verstorbenen Vater und kann mit dem eigenen Sohn nichts anfangen. Einfachen alltäglichen Situationen wie einem gemeinsamen Arztbesuch ist er nicht gewachsen. Mit seiner Frau liefert er sich lächerliche Streitereien, die im Regelfall darin gipfeln, dass er sich in seinem Zimmer einsperrt. Im Philosophen Karl Senegger glaubt er einen väterlichen Freund und Förderer gefunden zu haben, doch dieser entpuppt sich – für den Leser dank wechselnder Erzählperspektiven leicht nachvollziehbar – als ebenso egozentrischer und gescheiterter Vater wie Templ. Er hat den Selbstmord seines Sohnes Victor mitverschuldet und ist nun auf der Suche nach einem Ersatz, der seinen Wunschvorstellungen entspricht.

Victors Tod und Begräbnis dient den vier Geschichten des Romans als Fluchtpunkt und hält sie so zusammen. Der bestenfalls durchschnittliche Schriftsteller Victor verliert dabei schrittweise den Nimbus des bemitleidenswerten, tragisch am eigenen Vater gescheiterten Poeten. Aus seiner Ich-Erzählung, die den Roman abschließt und in der er seine beginnende Beziehung zu Nina schildert, spricht vor allem die tiefe Abneigung, die er gegen ihren hochbegabten Sohn empfindet. Der Text endet offen, doch der Leser weiß, dass nur Victors Selbstmord den bereits schwelenden Vater-Sohn-Konflikt verhindern wird. Und auch dieser Selbstmord ist im Grunde lächerlich: Victor geht es vor dem Sprung aus dem Fenster vor allem darum, seinem Vater eines auszuwischen. Sein letzter Gedanke vor dem Absprung: „Triumph! Er möchte am liebsten weinen vor lauter Triumph.“

So besiegt ein Egozentriker den anderen, indem er sich selbst zerstört. Setz‘ Protagonisten geht es wie Alkoholikerkindern, die als Erwachsene selbst zu trinken beginnen: Als Söhne leiden sie unter der Ich-Sucht der Väter, als Väter sind sie viel zu sehr mit dem eigenen Ego beschäftigt, um ihrer Rolle gerecht werden zu können. Symptomatisch für die in Söhne und Planeten dargestellte Egozentrik sind die zahlreichen Liebesszenen des Buches, wobei es angebrachter wäre, von Fick-Szenen zu sprechen. Den (männlichen) Romanfiguren geht es beim Sex vor allem um die Frage, auf welchen Körperteil der Partnerin der zu erzielende Samenerguss appliziert werden soll. Die einzige Frau, der dabei so etwas wie eigener Wille zugestanden wird, erweist sich als personifizierte Porno-Phantasie, die dem glücklich hinter ihr Knienden zu verstehen gibt, er dürfe ihr auch den „Mund ordentlich durchficken und das Gesicht vollspritzen“.

Zur Beziehungsunfähigkeit zwischen den Generationen und Geschlechtern gesellt sich in Söhne und Planeten die Unfähigkeit, freundschaftliche Beziehungen einzugehen. Die nackten Dichter der zweiten Erzählung baden nicht nur im etwas zu kalten Wasser, sondern auch im eigenen Narzissmus und fügen einander im Gespräch tiefe Verletzungen zu, ohne das zu bemerken. Der beste Freund Victors versäumt wiederum das Begräbnis des Selbstmörders aus reiner Unachtsamkeit und gibt sich erleichtert darüber eine „tadelnde Ohrfeige“. Wie „Männer neben Männern in der Gesellschaft existieren“, ist in Setz‘ Roman traurig zu beobachten.

So mitleidlos die emotionalen und sexuellen Störungen der Romanfiguren ausgebreitet werden, so überraschend gebildet und feinfühlig erweisen sich diese beziehungsgestörten Egozentriker, sind sie mit sich allein. In ihren (inneren) Monologen, bei Beobachtungen, Erinnerungen und Lesenotizen finden sie immer wieder poetische Bilder, werden ihnen Regenschirme zu Sprechblasen, die über den Passanten hängen, sorgt ein seltenes Wort dafür, dass der „Gehörsinn durch ein Loch in der Zeit“ reicht und die vergessen geglaubte Stimme der Mutter, die dieses Wort oft gebrauchte, wieder hörbar wird.

Diese Ambivalenz passt durchaus zum Leseeindruck, den Söhne und Planeten hinterlässt. Clemens J. Setz‘ Prosadebüt ist so tieftraurig wie gewitzt erzählt, enthält vielleicht das eine Zitat oder die andere Pointe zuviel und wirkt dennoch souverän konstruiert. Sympathie für seine Romanfiguren zu entwickeln fällt schwer – doch unberührt lassen die Spielarten der Entfremdung, die Setz anhand des seltsamen Verhaltens von Männern durchexerziert, wohl kaum jemanden.

Söhne und Planeten.
Roman.
St. Pölten, Salzburg: Residenz, 2007.
217 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-7017-1484-1.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 05.02.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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