#Prosa

Sobald ich "ich" sage, ist mir nicht mehr zu trauen

Simone Schönett

// Rezension von Veronika Hofeneder

Nach ihrer fulminanten letzten Prosa Das Pi der Piratin (2020), die wortgewaltig die Suche nach einer weiblichen Sprache der Lust zelebriert, legt die mehrfach ausgezeichnete Simone Schönett mit Sobald ich „ich“ sage, ist mir nicht mehr zu trauen nun einen Band mit zehn Erzählungen vor. Darin verhandelt sie immer knapp an der Schmerzgrenze und mit gewohntem Wortwitz zwischenmenschliche Beziehungen, die den beteiligten Figuren das Äußerste abverlangen. In den prägnant übertitelten Erzählungen wie Abstand, Trifokal, Arbeitsstriche oder Gastfreundin geht es um (toxische) Freundschaften, Verhaltensmuster in Familien, Paarbeziehungen, aber auch um die Arbeitsbedingungen von Künstler:innen, das Identitätsverständnis der jenischen Minderheit oder dystopische Zustände infolge der Corona-Schutzimpfung.

Arbeitsstriche ist eine schonungslose Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, der nach rein marktwirtschaftlichen Interessen agiert. Aus der Perspektive einer Schriftstellerin werden die Schwierigkeiten und Hindernisse, ihren Lebensunterhalt – als Frau – mit Schreiben – und dann noch von Lyrik – zu verdienen, dargestellt. Ihren nicht unlukrativen, aber natürlich prekären Job als „Trivialschreiberin für die Romanfabrik“ (97) hat sie nur bekommen, weil sie aufgrund ihres genderneutralen Vornamens Kay via Online-Bewerbungsgespräch als Mann angestellt wurde. Als Frau hätte sie keine Chance gehabt, denn „praktisch wollte sich so ein Konzern, der für den großen Markt produzierte, keine *innen leisten, wegen der Fortpflanzung und sonstiger *innen-Beschwerden.“ (99) Als der „peinliche“ Irrtum auffällt, darf sie aber bleiben, da man mit ihrer Leistung und ihrem Arbeitstempo sehr zufrieden ist. Die richtige Dosierung des „narrativen Glutamats“ (102) bei der Herstellung der belletristischen Massenware hat sie rasch verinnerlicht und auch ihre anfängliche Irritation über das Aussparen bestimmter Berufsgruppen wie Künstler:innen, Zirkusleute oder Schriftsteller:innen aus dem Figurenarsenal des bekömmlichen Lesefutters weiß sie bald professionell abzustreifen. So weit die Satire – es erübrigt sich wohl eigens zu betonen, dass Schönett ausschließlich diese Berufsgruppen und vornehmlich Frauen zu Protagonist:innen ihrer Erzählungen macht.

Ein wiederkehrendes Motiv im Erzählband sind neben dem Wasser in allen Gestalten Frauenfreundschaften, die auf die Probe gestellt werden, weil keine von beiden aus ihrer Haut kann und/oder will: „Was für engagierte Frauen, und irgendwie waren sie beide, jede auf ihre Art, in ihrer Arbeit kompromisslos ohne Ausnahme, was sie einander nun gerade vorwarfen.“ (54) Renates Beobachtung in Bezug auf ihre Frau Betty und deren langjährige Freundin Fabiola trifft auch auf die Freundinnen Britt und Teresa aus Standhalten sowie Eva und Kath aus Gastfreundin zu. Offenheit ist alles: „Keiner hasst dich, Britt. Du bist nur mitunter sehr kompliziert und manchmal ziemlich anstrengend.“ (28) Und in Bettys und Fabiolas Freundschaft, die „vielmehr eine Art Schwesternschaft“ (50) ist, gehört Streit schon immer dazu. So genüsslich wie Betty ihre Miesmuscheln zum Abendessen schlürft, bezeichnet sie ihre jüdische Freundin ob ihres immer militanter werdenden Gehabes als Faschistin und bricht damit die Verbindung zu ihr endgültig ab. Das gelingt Eva mit ihrer „Gastfreundin“ Kath nicht, die eine Personifizierung des arabischen Sprichworts „Die Rechte des Gastes sind fürchterlich“ (136) zu sein scheint: „Sie ist nicht meine Freundin, nie gewesen, sie hat nur beschlossen, es zu sein. Und schön langsam glaube ich, sie ist meine Stalkerin.“ (129)

Toxische Beziehungen auf Mutter-Tochter-Ebene werden in Alwine und Kleine Hölle verhandelt: Während erstere gegen die (weibliche) Pflicht, das eigene Kind lieben zu müssen, aufbegehrt und vor diesem im Winter in das ungeheizte Sommerquartier und in den kalten Fluss flüchtet, läuft der Familienurlaub nach dem Motto „Weihnachten einmal anders“ im kroatischen Steinhaus aufgrund der psychotischen Mutter Thea völlig aus dem Ruder. Der Wintersturm, den Schönett zum Abschluss tagelang um das Haus brausen lässt, erscheint da fast schon als Erlösung.

Und auch Schönetts männliche Figuren wollen es wissen: In Trifokal liebt Aki seine Freundin Mila „so sehr, dass er sogar bereit wäre, sie zu teilen.“ (67) Als diese dann tatsächlich vor seinen Augen mit seinem Freund Bojan ins Bett steigt, ist er sehr irritiert, wenn auch vor allem von der so natürlich scheinenden Intimität und Vertrautheit der beiden. Hier scheint Versöhnung aber immerhin noch möglich, Mila und Aki trinken am Ende gemeinsam Cognac.

Schönett ist keine zimperliche Erzählerin und will auch keine sein – genau das macht den Reiz ihrer kompromisslosen Prosa aus, die nicht mit Zwischentönen spart und den Finger genau dorthin legt, wo es weh tut. Bei aller Radikalität bleibt Schönett stets sprachlich virtuos und erlaubt sich ironische wie auch satirische Momente, die den Band zu einem vergnüglichen und in vielerlei Hinsicht anregenden Leseerlebnis machen.

Simone Schönett Sobald ich „ich“ sage, ist mir nicht mehr zu trauen
Erzählungen.
Wien: Edition Atelier, 2022.
168 S.; geb.
ISBN 978-3-99065-082-0.

Rezension vom 05.09.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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