#Lyrik

So sie mir pfiff zum Katzenlohn

Gerhard Ruiss, Oswald von Wolkenstein

// Rezension von Alexander Kluy

133 Lieder. 133 Gesänge. 133 Poeme. In drei Bänden. Und auf insgesamt 520 Seiten. Der in Wien lebende Autor Gerhard Ruiss hat nun, nach sieben Jahren intensiver und fordernder Arbeit im Silbenbergwerk, mit dem dritten Band seiner Nachdichtungen der Lieder Oswald Wolkensteins (1376/77-1445) eine Arbeit abgeschlossen, für die das Attribut „herkulisch“ nicht zu weit hergeholt erscheint. Denn das Gesamtwerk des Südtiroler Barden liegt nun tatsächlich geschlossen vor, leicht zugänglich und in einer poetischen Avanciertheit, an die auch im Willen zu umfassender Vollständigkeit bisher kaum eine andere Ausgabe heranreicht, ganz zu schweigen von den meist alles Poetische auslöschenden Versuchen von Hochschulgermanisten.

Ganz bewusst hat Ruiss, mit Bänden wie Sänger im Bad (2001), dichter schreiben keine romane (2004) und Kanzlergedichte (2006) selber ein Lyriker sui generis, seine Edition als „Nachdichtung“ deklariert. Nicht „korrigieren oder ein zusätzliches erzeugen, sondern die Lieder Oswalds von Wolkenstein für sich selbst sprechen lassen“, das war bereits im ersten Band die dezidierte Absicht von Gerhard Ruiss. Denn es gab in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten genug Versuche, sich übersetzend die Poeme des Brunecker Minnesängers anzueignen oder, wie das etwa der rheinische Lyriker Thomas Kling unternahm, sie dem eigenen avantgardistischen Idiom anzuschmiegen.

In Ruiss‘ Nachdichtungen ist das Kritikasternde, das manchmal hinter- und öfter vordersinnig Pfiffige, auch das grob Austeilende – wenn es beispielsweise um die gierigen Wirte am Bodensee geht, vor allem jene in Überlingen, die während des Konstanzer Konzils ab 1415 die Preise gehörig pfefferten und so den bösen, wortgewaltigen Spott Oswalds geradezu herausforderten –, aber ebenso das Zärtliche, das melodisch Ohr-Musikalische, das Sehnende und Sich der Liebe und Zuneigung Vergewissernde mehr als nur erhalten geblieben. Es liegt so ein ganz und gar heutiger Oswald von Wolkenstein vor, Wolkenstein als Zeitgenosse und Quasi-Inspirator jüngerer Dichter.

Das zeigt bereits die erste Sektion, die mit „Das öffnet manchem Tür und Tor“ überschrieben ist. Hier geht es erstaunlich wenig wortmelodisch-sanghaft zu. Stattdessen: ganz kurze Zeilen, häufig Zeilensprünge und abbrechende Enjambements, sich ineinander schiebende, verknäuelnde, einander unterbrechende Gedanken. Es ist eine Einsilbigkeit und lakonische Aufreihung, die in der Ruiss’schen Fassung poetisch um Jahrhunderte vorgreift, an die literarische Moderne gemahnt und die Nachkriegsgedichte eines Günter Eich, auch des späten Brecht sprachlich instinktiv vorwegzunehmen scheint. „Berst,/ brich,/ fest,/ stark,/ geht tief,/ verlangt,/ lieb, liebt dich, nimmt,/ soviel du gibst“ heißt es im ersten, dem Auftaktgedicht des dritten Bandes. Und geht dann räsonnierend weiter: „und was du hast,/ schmerzt es dich gar zu sehr,/ gern/ will ich/ dich davor bewahren.“

Auch Verse, die mit Inversionen hantieren und in ihrem ganz konkret-diesseitigen Gestus dabei so kunstlos-artistisch klingen, als entstammten sie der Feder eines Peter Rühmkorf, des Dresdners Thomas Rosenlöcher oder eines Wolf Biermann in Hochform, finden sich: „Ach, du von Herzen meine,/ eine,/ wenig/ hab ich von dir Hilfe,/ bring sie,/ zeig dich in Gestalt,/ walt/ über meinen Leib in allen Ehren.“

In So sie mir pfiff zum Katzenlohn taucht auch, wie es Gerhard Ruiss in seiner viel zu kurz gehaltenen, nicht einmal zwei volle Druckseiten umfassenden Vorbemerkung konstatiert, Neues bei Wolkenstein auf: Liebesgesänge als Duette. In denen sich von Strophe zu Strophe die Sprechstimme ändert.

Zudem finden sich in den neun Kapiteln Marien-Lieder und Schilderungen der Kreuzigung Jesu Christi neben den Liebesbezeugungen, für die Ruiss des Öfteren eine wahrhaft treffliche Entsprechung findet. So etwa wenn es im Original nicht nur klanglich kryptisch heißt: „Do fraig amors,/ adjuva me/ ma lot, min ors,/ na moy sercce/ rent mit gedanck/ frau, pur aty/ eck lopp, ick slapp/ vel quo vado/ we segg, mein krapp/ ne dirs dobro/ ju gslaff, ee franck/ merschy voys groy.“

Ruiss formuliert ebenso elegant wie gewitzt: „Ach, Liebste, Weib,/ fest steh zu mir,/ mein Pferd, mein Roß,/ dazu mein Herz,/ soviel ich denk,/ will nur zu dir./ Ich lauf, ich schlaf,/ wohin ich geh,/ wahrlich, mein Kopf,/ der hält nicht fest,/ einst frank und frei,/ such ich dich jetzt.“

Besonders hervorzuheben bei der Wolkenstein-Ausgabe des Folio Verlags ist, dass Oswalds Lieder und Poeme im Anhang original abgedruckt und somit unkompliziert im Vergleich mit der ‚Übersetzung‘ nachzulesen sind (wenn auch in einem leicht leseunfreundlichen kleineren Schriftgrad). Zudem gibt es einen knapp gehaltenen, aber informativen Anmerkungsapparat, eine Zeittafel, in die Ruiss auch chronologisch synchrone Ereignisse eingeflochten hat, und recht spärlich ausgefallene Hinweise auf weiterführende, empfehlenswerte Literatur.

So sie mir pfiff zum Katzenlohn.
Lieder. Nachdichtungen. Band III.
Wien, Bozen: Folio, 2010.
176 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-85256-523-1.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 14.09.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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