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#Prosa

Sind sie eigentlich fit genug?

Margit Schreiner

// Rezension von Marietta Böning

Von der Fitness des Lesens im Leben

Der Titel von Margit Schreiners Essayband Sind Sie eigentlich fit genug? ist tückisch. Nur rudimentär geht es um Tiraden über den Fitnesswahn einer Burnout- und Relax-Gesellschaft.

Ihre Essays sprechen hingegen von einer mentalen Disposition, die das Lesen aus der kognitiven Verarbeitung von Eindrücken in der realen Lebenswelt oder der eigenen assoziierenden Erinnerung generiert, in einer Zeit, wo Wirklichkeit und Virtualität verschwimmen. Einer gewissen Fitness bedarf es für die reflexive Anstrengung, sich den Unterschied zwischen Realität und Fiktion bewusst zu halten, auch durch die Gewichtung: Was ist wichtig im Leben? Was ist wichtig im Lesen? Weil wir im eigenen Leben keine kohärenten Geschichten „schreiben“, sondern Sinneseindrücke und Erinnerungen gemeinsam Kohärenz nur suggerieren, werde der klassische Roman einst passé sein, meint Schreiner, sich auf Wolf Singers Essays zur Hirnforschung beziehend. Dieser Gedanke mag kohärent gedacht sein, insofern Literatur immer schon auf Paradigmenwechsel in Wissenschaft und Gesellschaft reagiert – wenn auch der klassische Roman die Poetologie der Romantik überlebte; und Nietzsches Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne sowie die literarischen Avantgarden LiteratInnen nicht von einer als wahrhaftig statuierten Konstruktion ihrer Romane abhielten.

Schreiners Essays folgen diesem Prinzip. Sie vermeiden es, kohärente Erzählungen zu bieten und suggerieren auch keine allwissende Erzählerin. Der Essay gilt seit Montaigne als das Genre des fließenden Schreibmodus. Immer schon darf er sich fallen lassen. Der Autor/die Autorin konstruiert das Sich-Fallenlassen-des-Schreibers/der Schreiberin in sein oder ihr Thema. Der Essay ist ein Spaziergang – durch die geordnete oder die ungeordnete Welt. Für ihn gilt, was Schreiner für Kunst en gros reklamiert: „Kunst fördert die Orientierung und behindert gleichzeitig den glatten Ablauf der Dinge, das reibungslose Getriebe, den Markt“. Die kohärente Erzählung vermeidend, Themen mäandrierend verbindend, dabei Halbwahrheiten setzend, will der Essay nicht allwissend sein. Er weiß, er ist darin mehr, dass er’s nicht ist.

Tatsächlich sind in diesem Band aber jene Essays, in denen die Autorin dann doch in den Erzählmodus fällt, die amüsanten, aufgelockerten; überschrieben mit „Biografisches“. Da ist des Alzheimer-kranken Vaters komischer Versuch über die Geschichte der Kaffeemaschine. Oder das Leben der Autorin als Jugendliche im Rotlichtmilieu der Linzer Hofgasse. In weiteren Skizzen zur beklemmenden Enge des 1980er-Jahre-Kleinbürgertums, von Sittenbildern zu Familien mit Wellensittichen und Computerspielen, liest sie Persönliches nach und überdenkt es. Schreiner kann gut beschreiben, was sie aus dem Leben kennt. Sie liefert eine atmosphärische Generationenskizze des 20. Jahrhundert-Bürger-Klischees.

Am Ende mag man sich nach dem Wahrheitsgehalt fragen: Sind die Texte biografisch oder dürfen sie es nicht ganz sein, weil die Autorin nicht mehr alles genau wissen kann? Wenn das die bewusste Dramaturgie ist, ist entweder diese zu wenig eindrücklich oder das Biografische zu authentisch geschrieben. Aber das ist ja das Ziel, das ist die Tücke dieser Texte.

Sind sie eigentlich fit genug? Mehr über Literatur, das Leben und andere Täuschungen.
Essay.
Frankfurt: Schöffling & Co, 2019.
224 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-89561-282-4.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 20.01.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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