#Roman

Simonhof

Stefan Soder

// Rezension von Ursula Ebel

Zwischen alpiner Idylle und inszenierter Naturkulisse

Der Titel des Romans Simonhof hält, was er verspricht. Über vier Generationen hinweg wird die Geschichte eines in den Tiroler Alpen gelegenen Bergbauernhofs erzählt. Der Simonhof überdauert familiäre Dispute, wirtschaftliche Entwicklungen und Umbrüche sowie die politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Der Roman zeichnet die Geschichten von Männern nach, die ihren vermeintlich individuellen Zielen folgen.

Im Prolog skizziert der Erzähler eine archaische Szene: Wo das Erzählen keine Tradition hat, vermisst man es nicht. Wer damit beschäftigt ist, sich und seine Familie zu erhalten, findet keine Muße, um mehr als das Nötigste zu reden oder gar in der Vergangenheit zu schwelgen. (S. 6) Einmal im Jahr zu Allerheiligen werden jedoch Familiengeschichten erzählt, und zwar von den Frauen. Die Bauern lauschen und korrigieren bisweilen, wenn die Geschichten ihrer Meinung nach falsche Details beinhalten. Gefühlslagen der Bauern spielen dabei keine Rolle: Ihre Psychologie war nur gelegentlich von Interesse. Was die Bauern taten, das zählte und wurde erzählt. (S. 7)

Not und Wendigkeit, In der Alpenfestung, Heiße Sommer, kaltes Wasser, Schnee und Geld lauten die Titel der vier jeweils einer Generation gewidmeten Kapitel, die auf die darin verhandelten Spannungsfelder anspielen. So beginnt das Buch mit der herzzerreißenden Geschichte des mittellosen Bauernsohns Simon, der sich als Knecht verdingen muss und bei einem Kartenspiel einen verlassenen Hof, die Kälberalm, gewinnt. Unter schweren Entbehrungen baut er den Bergbauernhof auf, heiratet und bekommt einen Sohn, Simon. Dieser entgeht dank seines jugendlichen Alters im Gegensatz zum Vater der Einberufung durch die deutsche Wehrmacht. Der Hof wird vom Jungbauern, seiner Mutter Waltraut und einigen ZwangsarbeiterInnen geführt, ein Fahnenflüchtiger versteckt. Vater Simon kehrt gebrochen aus dem Krieg zurück, der Jungbauer heiratet eine ehemalige Zwangsarbeiterin und bekommt mit ihr wieder einen Sohn. Die kommenden drei Jahrzehnte bringen viele technische Neuerungen, die familiäre Streitigkeiten zwischen den Generationen auslösen. Der Generationenkonflikt führt zur erstarrten Verhältnissen am Hof, erst nach dem Selbstmord des Sohnes und der Geburt eines Enkels nehmen die Entwicklungen wieder Fahrt auf. Anders als die weltpolitischen Umwälzungen Mitte des 20. Jahrhunderts tangieren die nun folgenden Veränderungen den Hof unmittelbar.

Nachdem sich der Tourismus in den 1970er Jahren nur vereinzelt bemerkbar macht, führt er in den kommenden Jahrzehnten zu massiven Veränderungen. Liftnetze, Skitrassen und Kunstschneeanlagen werden aufgebaut. Der junge Teenager Simon ist nicht mehr Bauer, sondern Skilehrer, Entertainer und Hotelier. Rund um den Bergbauernhof entsteht ein Luxushotel, die alte Substanz bleibt dank ihres authentischen Charakters erhalten. Die für einen florierenden Tourismus notwendigen Veränderungen und auch der Konkurrenzdruck innerhalb der Region werden im Roman überzeugend dargestellt. Nachdem selbst Hotelanlage und Après-Ski nicht mehr genug Geld abwerfen, steht die Familie trotz geplantem Großumbau, der Wasserpark, Kletterwand und einen Stall für Arabische Vollblüter umfasst, vor dem finanziellen Ruin. Eine glückliche Wendung führt jedoch zum Erhalt des Simonhofs.

Stefan Soder schildert in seinem zweiten Roman exemplarisch die Geschichte eines Bauernhofs in den Tiroler Alpen. Folglich stehen die geschilderten Personen, primär Bauern mit dem Namen Simon und ihre Ehefrauen nur bedingt im Fokus. Soder zeigt sie als ‚Kinder ihrer Zeit’. Während der ehemalige Knecht nur das Ziel kennt, den eigenen Hof unter härtester körperlicher Arbeit aufzubauen, setzt einer seiner Nachkommen auf den Skibetrieb und lukrativen Tourismus. Technische Veränderungen sowie globale und soziale Entwicklungen prägen den Alltag am Hof und sorgen in konzentrierter Form für vielfältige Konflikte im skizzierten Milieu.

Die Erzählstimme führt den/die LeserIn nicht nur durch den Roman, sondern meldet sich mit Kommentaren zu Wort, beispielsweise als der erste Sohn am Simonhof geboren wird: Warum Waltraud und Simon ihren Sohn Simon tauften, ist nicht überliefert. In manchen Familien war es Brauch, den Namen an den Erstgeborenen weiterzugeben, vielleicht fiel ihnen auch bloß kein anderer Name ein, der ihnen beiden gefiel. So jedenfalls begründeten sie eine Tradition. (S. 77) Der Autor setzt hier einen tradierten erzählerischen Kniff ein: Erzählerin der Geschichte ist die jüngste Nachkommende der Familie der Simonbauern. Sie wollte sich einen Überblick über ihre Familie verschaffen und schreibt deshalb eine Familienchronik. Auf den letzten Seiten zieht sie ein erbauliches Resümee: Ich wollte ihre Erzählungen ordnen und sammeln, um zu verstehen, wer sie waren, woher ich komme. (…) Indem ich es aufschrieb, wurde ich Teil dieser Geschichte und sie ein Teil von mir. (S. 255) Die Schilderung und Suche nach der eigenen Herkunft ist ein wichtiger Topos des Buchs, wie auch die am Cover gezeigten mächtigen, ineinander verwobenen Wurzeln einer Buche verdeutlichen sollen.

Der Hof ist Anker für die Familienmitglieder und wird als unverwüstlich dargestellt. Er trotzt Ereignissen jeglicher Art und übt eine magische Anziehungskraft aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg heißt es etwa: Halb Europa lag in Schutt und Asche. Dem Dorf, im geografischen Zentrum der Vernichtung liegend, war kein äußerer Schaden zugefügt worden. Der Simonhof schaute stolz ins Tal hinunter. (S. 132) Selbst die Jüngste, die Chronistin in der Gegenwart, kann sich diesem Refugium der familiären Beständigkeit nicht entziehen: Je näher ich dem Hof komme, umso prächtiger erscheint er mir, erhaben thronend, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Ein Monument, das sich so unveränderlich gibt, als wäre es aus der Zeit gefallen, und sich stur gegen die Vergänglichkeit stellt. (S. 256) Der historische Hof wird im Roman immer wieder zu einer Kulisse seiner selbst und zu einem Ort der Projizierung von Wünschen und Idealen der Figuren, gleich ob es sich um kapitalistisches Gewinnstreben oder die Suche nach Zugehörigkeit handelt. Folglich ist die besonders archaische und romantisierende Darstellung des Hofes auf den letzten Seiten des Romans nachvollziehbar. Das versöhnliche und idyllische Ende kommt dennoch überraschend.

Ruhig und eindringlich erzählt Stefan Soder die von zeitgeschichtlichen Entwicklungen geprägte Familiengeschichte der Simonbauern – vom ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Der Bergbauernhof ist jedoch nicht nur ein sozialer Ort der Idylle, sondern wird einerseits zur konfliktreichen Arena unterschiedlicher Weltanschauungen und Ziele, Stichwort Homosexualität, und andererseits selbst seiner Verfasstheit enthoben und Teil einer inszenierten Naturkulisse. Individuelle HeldInnen treten in in den Hintergrund, denn es gelingt dem Autor überzeugend seine ProtagonistInnen in die feinen Mechanismen von sozialer und gesellschaftlicher Ordnung einzubetten.

Stefan Soder Simonhof
Roman.
Wien: Braumüller, 2017.
259 S.; geb.
ISBN 978-3-99200-179-8.

Rezension vom 08.05.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.