Ronald Pohl setzt der zähen heißen Lava des Ätna einen unaufhörlichen Wortschwall entgegen. Er schreibt in seiner Dichtung an gegen einen immer noch und immer wieder aktiven Vulkan, der zugleich aber auch metaphorisch in der europäischen Legenden- und Literaturwelt sehr präsent ist. Schon in der griechischen und römischen Mythologie taucht er auf, ebenso wie in der Artussage oder in Dantes Divina Comedia, von Empedokles bis hin zu Kaiser Rotbart, sie alle stehen Legenden nach irgendwie in Verbindung mit dem Ätna. All das und sehr viel mehr fließt ein in Ronald Pohls Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen und metaphorischen Vulkan.
Was wir sehen und wie wir etwas sehen, hängt auch sehr davon ab, wer wir sind und was wir kennen. Ronald Pohl überspitzt diesen Gedanken sehr humorvoll, wenn er Sizilien kurzerhand verösterreichert und durch die Sonnenbrille eines österreichischen Touristen betrachtet: „Noto du Pörtschach des Südens“, oder auch: „Kalbend wie sonst nur Gletscher tun / Siziliens schwarze Pasterze“. Genauso gut kann aber auch die Sonnenbrille eines schweizer Touristen aufgesetzt werden: „Ätna du Glühwurm aus Graubünden“.
In den Gedichten hat der Ätna viele Gesichter, er kann Liebhaber sein: „Von Mund zu Mund beatmen Himmel / Und Krater sich einander spiegelnd“, großzügiger Gastgeber: „Du lädst Sizilien zum Fest / Deckst seinen Tisch mit heißer Lava“, ungezogenes Kind: „Ätna du spuckst Olivenkerne / Der Stadt Messina in die Hände“, oder Kranker, dem man zu helfen versucht: „Sizilien deine Schornsteinfeger // Gebrauchen Pinien als Bürsten / Sie pinseln Ätna dir den Schlund / Und gießen kräftigendes Harz // Wie kalt gepresstes Öl ins Feuer / Damit du niemals wieder husten / Musst nie mehr Blutfontänen speien // Ins kalte Schnupftuch Taormina“
Die einzelnen Gedichte folgen eins auf das andere, dazwischen nur eine doppelte Leerzeile. Damit man nicht durcheinander kommt, wo ein Gedicht endet und das nächste beginnt, ist in der letzten Verszeile immer die Nummer des jeweiligen Gedichts angegeben. Jeder der drei Abschnitte des Gedichtbandes beginnt bei eins zu zählen, 74, 60 und 75 Gedichte enthalten die drei Teile, insgesamt also 209 Gedichte. Beim Lesen hat man jedoch das Gefühl, ein einziges zusammengehöriges Langgedicht vor sich zu haben, in dem der Ätna wie Ebbe und Flut immer wieder ausbricht, gefolgt von einer Ruhephase, bis er erneut Feuer speit. Durch dieses Auf und Ab gelingt es Ronald Pohl, den Spannungsbogen über den ganzen Band zu halten. Auch seine Lava-, Hass- und Brandrede macht diese Bewegung von Ebbe und Flut mit, beruhigt sich nur, um neuerlich anzubranden am Ätna. Dabei schwankt sie zwischen Beschimpfung: „[…]Ätna du Schmalhans in // Der Backstube des Südens Knülch / Du Ladenschwengel Sitzzwerg Pfosten / Lulatsch im härenen Gewand“ und Bewunderung hin und her: „Kräftig dein Farbauftrag Fürst Ätna / Der du auf Lavatuben drückst / Verrühr’nd das Silberpigment Luft // Mit kohlrabenschwarzer Asche / Malend die schöne Madonie“. Der Ätna wiederum zeigt sich davon eher wenig beeindruckt, bewahrt stoische Ruhe und badet seine Zehen im Meer.
Auch schwankt die Beurteilung des Ausbrechens des Ätnas immer wieder von zerstörend negativ: „Siehe gebraten fliegt die Taube / In dein bestürzend großes Maul“, zu positiv schöpferisch und fürsorglich: „Du säugst in Stein gehauene // Welpen du fütterst sie im Nest / Mit glühend heißer Lava […]“ Diese Dualität von schrecken- und segensbringend ist wohl die Hauptcharaktereigenschaft des Ätna, der auf der einen Seite zerstört und verwüstet, auf der anderen aber das Land durch seine Lava um ein Vielfaches fruchtbarer macht: „Der du Erdreich in Gold verwandelst“. Mit dieser Gegensätzlichkeit von Gut und Böse spielt Ronald Pohl, sie ist, was ihn und sein Schreiben immer wieder befeuert und zugleich ein großes Potential an Komik enthält, das er auszuschöpfen weiß. In einem Moment bedrohlich und böse, wird der Ätna im nächsten Augenblick schon wieder verniedlicht und verharmlost. Die Vergleiche, die Ronald Pohl dabei für den Vulkan findet, sind ebenso unerwartet wie erheiternd: „Ätna du Eichhörnchen mit Wangen- / Taschen lang währt dein Winterschlaf“, „Du Pfeife im Konzert der Tuben“.
Vielleicht wird der Eindruck, ein Langgedicht vor sich zu haben, auch dadurch verstärkt, dass in den Gedichten keinerlei Interpunktion verwendet wird und somit nichts den unaufhörlichen Wort- und Lavastrom Ronald Pohls zu unterbrechen oder zu stoppen vermag. Die Aufteilung in drei Abschnitte könnte man so gesehen auch als notwendige Atempausen verstehen, in denen er zweimal kurz aus seinem Wortfuror auftauchen kann, um tief Luft zu holen, bevor es sofort wieder weiter geht.
Die Gedichte lassen sich als Anrufungen des großen Ätna lesen, der dazu meist schweigt. Wenn er sich dann doch einmal zu Wort meldet, dann geschieht das so unerwartet, dass man es beinahe überlesen möchte: „Dein Einschreiben im Brandkuvert / Mit heißem Lavawachs gesiegelt / Ich bin der Unterfertigte // Ich laufe heiß bin unverfroren […] // Ich Ätna bin Genossenschafter / Das Saatgut kippe ich ins Meer / Erwart’ mir dass viel Brandung sprießt // Ich bin das Löschblatt für die Tinte / Von der du Zafferana trinkest“
Im nächsten Gedicht wechseln wir dann sofort wieder die Perspektive und blicken von außen auf den Berg: „Du lässt die Katzen über Piazzen / Flitzen die Ketzer langsam brutzeln“. So wie auch der Autor gar nicht zu realisieren scheint, dass Ätna ihm gerade geantwortet hat, sondern einfach weiter zetert gegen den Vulkan, den er gar nicht zu Wort kommen lässt, als ginge es um sein Leben. Was es vielleicht ja auch tut, denn indem Ätna einfach niedergeredet wird, verschlägt es ihm die Rede und damit bricht er auch nicht aus. Vielleicht, es wäre vorstellbar, weil die Gedichte voller Humor sind und großes Lesevergnügen bereiten, schreibt Ronald Pohl ja als nächstes einen Band mit einem Titel wie „Signor Rinaldo“, in dem Ätna dann selbst auf die Lava-, Hass- und Brandrede antworten darf.
Bis dahin möchte ich zur Verteidigung des ebenso wortreich wie kunstgewandt beschuldigten und besungenen Ätna eine Facette seines Wesens vorbringen, die im Buch verborgen bleibt: seine zarte Seite. Denn auch die gibt es. Eine der wohl schönsten Zeiten, den Vulkan kennen zu lernen ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, der Vorfrühling, wenn der Ätna blüht. Ein Naturschauspiel der ganz besonderen Art, da hier sehr viele seltene Pflanzen wachsen. Wobei Roland Pohl die Pflanzenwelt am Ätna in seinen Gedichten schon auch in den Blick nimmt, beispielsweise wenn der Ätna Goldginster „Wie eine Eierspeis‘ hinunter“ schlingt.
Kurzum: sehr gut, sehr lustig und eine große Lesefreude!