#Roman

Sieben Tage

Ulrike Kotzina

// Rezension von Johanna Lenhart

Sieben Tage. Sieben Tage Selbsterfahrungstrip im Hochgebirge hätten es werden sollen. Geworden sind es sieben Tage Horror, ausgesetzt in einer kargen Landschaft voller Tücken. Jolina, Adam und Wendelin Spiegelsee – alle drei auf ihre Weise ziemlich unsympathisch – bekommen zur Bewältigung von Krisen jeweils unfreiwillig ein Selbsterfahrungserlebnis in den Ötztaler Alpen geschenkt: Mit einem Helikopter werden sie und die Mitglieder ihrer Gruppe samt Therapeut / Life Coach / Bergführer Joe auf einem Plateau mitten im Nirgendwo abgesetzt, um hier ohne Ablenkung zu sich selbst zu finden.

Nach der ersten Nacht aber finden sich die drei alleine wieder. Alles weg: Bergführer Joe, die Gruppe, die Ausrüstung. Nur einige Kisten mit Feuerholz sind Zeuge davon, dass auf dem Plateau einmal etwas anderes war als Stein und Geröll. Bald finden sich die drei und eine ungute Gruppendynamik entfaltet sich. Panik und Hunger mischen sich mit Befindlich- und Begehrlichkeiten. Spiegelsee prügelt sich mit Adam, bricht ihm die Nase und schlägt ihm einen Zahn aus, sodass dieser langsam in eine Sepsis abgleitet. Jolina ist eigentümlich distanziert und forsch. Und Spiegelsee – immer wieder Spiegelsee –, der langsam in seinem eigenen Größenwahn und Selbstmitleid versinkt und sich aufdringlich an Jolina heranmacht …

Die sich stetig zuspitzende Situation wird abwechselnd erzählt aus den Perspektiven der drei Ausgesetzten: Spiegelsee, dem es als alterndem Geschäftsmann und selbsternanntem Alphatier mit Geliebter und bald ausrangierter Ehefrau schwerfällt, mit der Abweisung Jolinas umzugehen und nicht mehr derjenige zu sein, der den Ton angibt. Adam, der dreißigjährige zukünftige Psychologiestudent, der es an Küchentischpsychologie nicht mangeln lässt, und Jolina, die etwas jüngere unnahbare und undurchschaubare Schöne. Soweit das Setting, das wohl nicht zufällig an einen Horrorfilm erinnert. Entsprechend spitzt sich die Situation stetig zu, Abstiege scheitern, der allgemeine Gesundheitszustand wird schlechter, die Stimmung gereizter, Leichenteile werden gefunden – bis es nichts mehr zu retten gibt und Jolina als Final Girl den letzten Weg antritt.

Spürbar Spaß macht Kotzina dabei die Darstellung von Wendelin Spiegelsee – ein Kotzbrocken par excellence: Herablassend gönnerhaft, sexistisch übergriffig und selbstüberschätzend unsicher richtet er mehr Schaden an, als er wiedergutmachen kann. Spiegelsee ist auch die Figur, die am meisten ausgemalt wird, während Adam und Jolina etwas unscharf bleiben, beispielsweise werden ihre Hintergründe nur gestreift, während Spiegelsee in all seiner Befindlichkeit ausgebreitet wird.

Ulrike Kotzina entwickelt hier ein Szenario, das das fragile Gleichgewicht einer Gruppendynamik unter Druck eindrucksvoll ausmalt und die Sticheleien und schwankenden Loyalitäten in der Gruppe geradezu auskostet. Obwohl der etwas gestelzte Dialog teilweise Tempo aus der Erzählung nimmt, deuten Sätze wie „Ihn schwindelte, er schluckte, er durchwühlte sein Haar.“ (S. 117) durchaus daraufhin, dass hier jemand augenzwinkernd am Werk ist. Auch der geschickte Einsatz von verschiedenen Perspektiven und Horrorelementen – besonders unterhaltsam etwa der Fund einer abgebrannten Berghütte komplett mit verkohlter Leiche – unterstützen dagegen den Spannungsbogen des Romans und machen ihn zu einer kurzweiligen Lektüre mit zahlreichen – man verzeihe mir das Wortspiel – Cliffhangern.

Ulrike Kotzina Sieben Tage
Roman.
Innsbruck: Edition Laurin, 2020.
336 S.; geb.
ISBN 978-3-902866-91-2.

Rezension vom 18.11.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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