#Roman

Shooting Stars

Martin Mandler

// Rezension von Eva Maria Stöckler

Dieter ist sein erstes Opfer, erschossen mit einer .338-Sniper, es folgen Heidi und ihr Bodyguard. Samy und ein Handyverkäufer werden von seiner P12 getötet. Anke, Till und Ralf sterben im Feuer der Zastava M91. Stefan überlebt zunächst, wird jedoch später so wie sein Freund Oliver Opfer eines Amok laufenden Studiogastes. Dass er Markus und Daniela nicht mehr erledigen kann, liegt daran, dass in der Zwischenzeit Carla und vier weitere Personen in Paris von einem explodierenden Auto getötet werden, in Schweden ein Moderator und später die gesamte schwedische Fußballmannschaft. Was als gezielte Attentate auf deutsche TV-Stars beginnt, wird zum internationalen Prominentensterben: In London wird Katie die Kehle durchgeschnitten, in New York Bruce erschossen, in Frankreich der „kleine Fußballer“ Franck beinahe zu Tode geprügelt, und in Rom stirbt der Stürmer Mario. Seine nächsten Ziele, Brad und Angelina, werden vergiftet, noch bevor er sie während eines Münchenbesuchs erschießen kann.

Er, der Protagonist, ein mit 53 Tötungen erfolgreicher ehemaliger Afghanistan-Soldat, beschließt, Bilder, mediale Bilder, Ikonen der TV-Welt auszulöschen, und mit den Bildern – den Funktionen – auch die Menschen, die Körper, die hinter diesen Bildern stehen. „Denn diese Körper sind es, die den Bildern ihre übergroße Macht verleihen. […] weil nur der menschliche Körper in der Lage ist, uns so direkt zu erreichen, sich in unsere Persönlichkeiten zu stehlen, ohne dass wir es verhindern können […].“ (S. 118) Seine Attentate lösen nicht nur Bestürzung, Angst und die „maximale Ausweitung der geheimdienstlichen Tätigkeiten und der Überwachung von Kommunikationskanälen“ (S. 158) aus; sie bringen auch eine Reihe von Nachahmern und Trittbrettfahrern in der ganzen Welt hervor. Das gesellschaftliche Leben, Arbeit, Schule, Wirtschaft kollabiert. Nur die Medien sind verlässliche Zeugen eines weltweiten Ausnahmezustandes.

Mandler schildert seinen Protagonisten als rationalen, kühl berechnenden Scharfschützen, der sein Ziel sorgsam auswählt, die Tat akribisch plant und entsprechend professionell und erfolgreich agiert. Den unüberlegten Kauf eines Handys, das ihn in Schwierigkeiten bringen könnte, tilgt er mit der Tötung des Verkäufers. Kaltblütig gibt er sich Polizisten als Kollege zu erkennen. Er hat eine Idee, eine Vision, die er in Gefahr sieht, als Attentate auch in Paris und Stockholm stattfinden, da sie „mir meine Definitionsmacht genommen haben“ (S. 109). Insbesondere das Manifest, das nach der Ermordung des schwedischen Moderators auftaucht, macht den einstigen Initiator zu einem Trittbrettfahrer und lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit von ihm ab, wodurch er sich gekränkt fühlt. „Die Lawine der Aufmerksamkeit, die heute über sie rollte, habe ich losgetreten.“ (S. 164) Er überlegt, „den Takt zu erhöhen“, denn „die da draußen halten ihn jetzt für mich“ (S. 172).

Er, der Protagonist ist ein Verlierer und fühlt sich als Sieger; geschieden, wünscht er sich immer noch in das gemeinsame Haus, das seine Ex-Frau nun allein mit den beiden Kindern bewohnt, die routinemäßige Versetzung in den Innendienst nach dem Afghanistan-Einsatz erlebt er als Zurückweisung und Kränkung, wäre da nicht seine Waffe, die dem kriegstraumatisierten Hauptmann a.D. eine ambivalente Macht und eine trügerische Sicherheit verleiht. „Die Tatsache, dass ich zu nichts gezwungen bin, dass ich praktisch alles tun kann, aber so gut wie nichts tun muss, entwurzelt mich.“ (S. 129)

Mandler stellt einen kriegstraumatisierten Einzeltäter vor, den er mit allen prototypischen Merkmalen eines Attentäters ausstattet: Lust am Töten, Angst vor Kontrollverlust, Selbstüberhöhung und Erlösungsphantasien; dessen Gewalt sich gegen Menschen stellvertretend für die mediale Herrschaft richtet. Er will jene Medienallmacht zerstören, die er gleichzeitig für seine Zerstörung braucht. Dieses Paradoxon kann er nicht lösen, er bekommt Angst vor seiner eigenen Saat, die besser aufgegangen ist, als er sich das je hätte vorstellen können, womit ihm am Ende als einziger Ausweg der Weg zur Familie bleibt, die Welt alltäglicher geordneter Normalität. „Es könnte nirgendwo friedlicher sein als hier.“ (S. 229)

Mandler wagt sich mit dieser Geschichte auf ein gefährliches Terrain, nicht nur weil die Medien in den letzten Monaten zu oft von ähnlichen Taten berichten mussten, sondern weil der Text mitunter groteske Züge annimmt. So weist der Autor in einem vorangestellten Paratext jegliche Zusammenhänge des Textes mit der Realität, insbesondere real existierenden Personen zurück (und provoziert damit gerade diese Assoziation). An anderer Stelle (schwedisches Manifest) wird für ein werbefreies Fernsehen gemordet. Mandler macht es dem Leser einfach, die radikale Innenperspektive des Protagonisten einzunehmen, indem er ihn seine Gedanken denken lässt, seine Sprache sprechen lässt, seine präzisen, kühlen und klaren Worte, jenseits jeglichen Mitgefühls für die Opfer: „dass ich Dinge, die andere fühlen, bloß denken kann“ (S. 151). Mandler lässt seinen Protagonisten einen „Krieg gegen die Gesellschaft“ (S. 179) führen, eine Gesellschaft, die längst schon durch mediale Bilder ersetzt worden ist. Damit ist es ein Kampf gegen die Bilder, ein Kampf gegen die Medien und ein Kampf gegen die sie verkörpernden Menschen, die als hohl, leer und verlogen erlebt werden, der so lange geführt wird, bis die Bilder der ermordeten Stars in den Medien zu „multimedialen Mahnmalen“ (S. 225) und damit alle zu Opfern geworden sind.

Martin Mandler Shooting Stars
Roman.
Wien: Luftschacht, 2013.
236 S.; geb.
ISBN 978-3-902844-24-8.

Rezension vom 01.10.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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