#Prosa

Senta gibt Gas

Bettina Messner

// Rezension von Monika Maria Slunsky

Wer ist Senta? Nun, dass Senta Bremstein das fiktive Alter Ego der Grazer Autorin Bettina Messner ist, wissen wir seit ihrem Debüt mit dem Erzählband „Senta bremst ein“ vor zwei Jahren. Das Geheimnis um das Anagramm des Namens wurde damals gelüftet und weckte zugleich unsere Neugier, ob es künftig noch mehr Geschichten rund um Senta geben würde.

Der Titel des erhofften zweiten Erzählbandes von Bettina Messner lautet nun „Senta gibt Gas“. Es gibt also nach zwei Jahren tatsächlich ein Wiedersehen mit Senta, und zwar ein fulminantes!
31 Kurzgeschichten – 31 Erzählstile: Bettina Messner variiert in „Senta gibt Gas“ spielerisch und mehrfach ihren Stil. In der Kurzgeschichte „Das Foto“ erzählt sie aus der personalen Perspektive der Bräutigammutter und dann aus der Sicht der Braut. In der Erzählung „Der Jungstapler“ wird hingegen durchgehend eine Perspektive eingenommen, nämlich jene eines Mannes, der sich angestrengt jünger gibt, als er in Wahrheit ist. Ein melancholischer Erzählton berührt uns in den Kurzgeschichten „Die Überfahrt“ und „Senta beim Stern“. Der fordernde Befehlston in „Des Pudels Kern“ evoziert ein starkes Gefühl bei der Lektüre.
Es ist bemerkenswert, mit welcher Akribie Bettina Messner ihren sprachlichen und formalen Stil der jeweiligen Erzählung anpasst. Sie strebt nicht danach, sich festzulegen. Diese Flexibilität macht das Reizvolle an ihrer Erzählweise aus. „Senta gibt Gas“ ist dadurch ein sehr abwechslungsreiches und unterhaltsames Buch geworden.

Senta gibt Gas: Sie beschleunigt im Tunnel und gibt sich völlig dem Rausch der Geschwindigkeit hin. Sie ist wagemutig und risikofreudig in „30 Sekunden“. Senta traut sich etwas und wird dadurch ein bisschen zu unserem Vorbild. Während der Autofahrt in der Kurzgeschichte „Die Systemsprengerin“ schreit sie ihren Ärger aus dem geöffneten Fenster: „LÖST EUCH DOCH IN LUFT AUF! IHR SOLLT IN DER HÖLLE SCHMOREN!“. Das Auto steht symbolisch für Freiheit. Es bot schon der Mitte zwanzigjährigen Senta in den 80/90er Jahren die Möglichkeit, unabhängig von ihren Eltern zu sein. Das Leitmotiv des Erzählbandes „Senta gibt Gas“ ist der Befreiungsschlag.
Ein Gefühl von Freiheit vermittelt auch die Kurzgeschichte „Der Irrgarten (Mindburn)“. Darin entflieht Delia imaginär ihrer wirren Gedankenspirale, indem sie mit einem Heißluftballon davonschwebt und ins Nichts verschwindet. Wie schnell man sich in negative Gedanken hineinsteigern kann, obwohl kein realer Anlass dazu besteht, davon erzählt Bettina Messner mit feiner Ironie in „Du kommst zu spät, oder: Advent, Advent, die Lunte brennt“. Eine Frau wird in dieser Kurzgeschichte von ihrem Partner versetzt und malt sich daraufhin energisch das Ende der Beziehung aus.
„Eine Flaneuse hätt ich werden können“ ist die amüsanteste Kurzgeschichte des Bandes. In Anspielung an die sogenannten „rich kids“ der heutigen Zeit konstatiert die Ich-Erzählerin, dass es wohl am besten wäre, Sohn oder Tochter von Beruf zu sein. Bettina Messner übt subtil Gesellschaftskritik. Kabarettistisch erzählt sie von den einfältigen Berufswünschen der heutigen oberflächlichen Spaßgesellschaft, überspitzt benannt als „Flaneuse, Dandeuse und Genieuse“.

Eingebettet in diverse Alltagsszenen erzählt Bettina Messner in den kurzen „Statusmeldungen“ von jenen Gedanken, die sich insgeheim in gewissen Situationen aufdrängen, jedoch nicht ausgesprochen werden. Wer hat sich nicht schon einmal innerlich über eine überfüllte Straßenbahn geärgert, nach außen hin aber die freundliche Haltung bewahrt. Bettina Messer skizziert diese lautlosen, scheinbar unwichtigen Gedanken.
Das rhetorische Mittel Anagramm steckt nicht nur hinter ihrem Alter Ego „Senta Bremstein“, sondern auch hinter dem Codewort „Samodaso“ und dem Titel der Kurzgeschichte „Senta beim Stern“. Eine schöne Metapher findet sich in der Erzählung „Tabula rasa“ in Form eines Springbrunnens, der nicht mehr weitersprudelt. Durch das wiederholte Geräusch der Ballschläge, „Plopp“, wird in der Kurzgeschichte „Happy Ends beim Badminton beim Picknick“ auf witzige Art ein Dialog verdichtet. Die Kurzgeschichte „Gleis 1“ wird durchgehend im Konjunktiv erzählt, nach dem Motto „was wäre wenn“.
Als Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin kennt Bettina Messner gewiss die Macht der Bilder: In der Kurzgeschichte „Das Foto“ erzählt sie von der überraschenden, wahren Begebenheit, die sich hinter dem Schnappschuss eines Paares verbirgt.
Bettina Messner ist eine spannende Erzählerin. Wir würden gerne noch mehr facettenreiche Geschichten von ihr lesen. Im Augenblick bleibt uns nur das Vergnügen, die eine oder andere Kurzgeschichte aus „Senta gibt Gas“ nochmal zu lesen.

Bettina Messner Senta gibt Gas
Erzählungen.
Graz: Edition Keiper, 2016.
250 S.; brosch.
ISBN 978-3-902901-92-7.

Rezension vom 27.04.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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