#Biografie

Selbstporträt

Jakov Lind

// Rezension von Eva Reichmann

„Wenn es Palästina wirklich gibt, dann gibt es auch mich“, heißt es gegen Ende des ersten Bandes der dreiteiligen Autobiographie Linds. Dieser Satz umschreibt am besten, wovon dieser erste, bereits 1969 in englischer Sprache erschienene Teil eigentlich handelt: Vom Verlust und vom Zerbrechen der Identität Jakov Linds durch das Dritte Reich – und davon, daß Israel dem überzeugten Zionisten und dem „Schriftsteller ohne Sprache, ohne Zeit, ohne Arbeitsplatz“ (S. 179) doch keine Heimat sein kann.

Durch direkte Gesprächswiedergaben sehr lebendig beschreibt der Autor eine scheinbar heile Welt der Kindheit in Wien, Kaisermühlen, als Jakov Lind noch Jakov Lind, Kind österreichischer Juden, war: die Widersprüchlichkeit der elterlichen Ideale (man fühlt sich als „bessere Leute“, obwohl man finanziell ruiniert ist), der Kindheitsalltag (Demütigungen durch antisemitische Lehrer oder Mitschüler) und die Gegensätzlichkeiten einer jüdischen Welt (Trumpeldor, der kämpfende Held, neben streng orthodoxer Duldsamkeit) lassen Jakov Lind ziemlich bald zu einem sehr eigenwilligen Kind werden, welches gerne alleine seinen Weg durchs Leben findet, gesteuert von primär vitalen Interessen wie Essen, Schlafen und später Frauen.

Diese Schule der Vitalität ist es wohl, die Lind für ein Überleben im Dritten Reich befähigt, ihm zugleich aber seine eigene Persönlichkeit und Identität nimmt: bereits im Alter von 11 Jahren wird er damit konfrontiert, nicht mehr der sein zu dürfen, der er eigentlich ist. Er schlägt sich in Holland anfangs mit jüdischer Unterstützung durch, später nimmt er mit dem Namen Jan Gerrit Overbeck die Identität eines holländischen Faschisten an, der – um zu Überleben – sogar für die Deutschen arbeitet. Mit dem Ende des Krieges findet Lind sich selbst jedoch nicht wieder: als Jakov Chakan, angeblich palästinensischer Staatsbürger, gelingt ihm die Ausreise nach Israel, was ihm, da er nicht im Lager gewesen ist, sonst nicht gestattet worden wäre. Auf der Suche nach Jakov Lind findet der Verfasser in Israel jedoch nichts: keinen Neuanfang, sondern lediglich die Strukturen des Vorkriegseuropa, die ihm immer schon verhaßt gewesen waren.

Lind beschreibt offen seine Antipathien: er liebt die Juden nicht, welche in Wien, Israel oder sogar im Ghetto in Amsterdam stur und ohne Blick für die politische Realität an einer althergebrachten Klassenordnung festhalten. Teilweise ist er sogar froh, daß diese aus dem Ghetto weggebracht werden. Dennoch ist er Jude, fühlt sich als solcher und will es auch sein – Linds eigene Widersprüchlichkeit, die bis heute keinen Ausgleich gefunden hat.

Besonders hervorzuheben ist, daß Lind durch seine Geschichte kein Mitleid erregen will, auch keine nüchterne Chronik verfaßt, sondern humorvoll und unverkrampft einfach eine ungewöhnliche Lebensgeschichte erzählt.

Jakov Lind Selbstportät
Hg.: Ursula Seeber.
Autobiografie.
Aus dem Englischen von Jakov Lind und Günther Danehl.
Wien: Picus, 1997.
Österreichische Exilbibliothek.
194 S.; geb.
ISBN 3-85452-404-8.

Rezension vom 27.01.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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