#Prosa

Seelenruhig

Florjan Lipus

// Rezension von Walter Fanta

Die Summe

Mit seinem neuen Buch bietet Florjan Lipuš die Summe aus Leben und Werk. Doch wer ist Florjan Lipuš? Für alle, die es noch nicht wissen: Aus den Bergen im äußersten Süden unserer Republik kommend, eine Stimme vom Rand unserer Welt, hat er, wie alle, die aus der extremen Randlage schreiben – ein Zoderer, ein Innerhofer, ein Winkler –, mehr zu sagen. Er schreibt eine Welt, die es nicht mehr gibt, die uns aber noch in den Gliedern steckt. Die Summe aus Leben und Werk ist kein dickes Buch geworden, schmal liegt es in der Hand, voller Kostbarkeiten. Ein Kondensat, dem Leben abgepresst. Kristalle, unter dem Druck der Erfahrung gebildet. Ein stilles Buch: Seelenruhig. Der slowenische Titel, erklärt Fabjan Hafner im Nachwort, Mirne duše, bedeutet zweierlei, stille Seelen oder seelenruhig.

Altersweisheit?

Florjan Lipuš ist mit diesem Buch 80 Jahre alt geworden. Bringt das Alter den Aphorismus? Das Abgeklärte? Den Sinn für das Einfache, das Wirkliche, das Wahre? Beinahe scheint es so. Doch hat Lipuš‘ Stimme die Leidenschaft nicht verloren. Seine Leidenschaft, die schon immer mit einer Ironie dem Archaischen gegenüber, von dem er schreibt, unterlegt gewesen ist. Das Thema des Schreibens ist stets gleich geblieben: Liebe und Tod. Davon schreibt Lipuš nicht dramatisch, sondern episch, er erzählt seine Geschichte stets von neuem. Die Kindheit, die Mutter, von den Nazis ermordet, als der Vater für die Nazis im Krieg kämpfte. Den Frieden mit dem Vater auf dessen Grab schließen. Die ermordete Mutter und der begrabene Vater gehen im Buch immer noch als Untote um. Immer noch Sturm? Die Geliebte, nicht die einzige, doch die einzige, die seine Frau wurde. Ein Lebensbericht, nicht vom Äußeren, vom Inneren. Geschehnisse, nicht Bericht, sondern Poesie. Die Metapher für das Erwachen und Wachsein der Leidenschaft sind die Blitze, die aus den Fingern zucken. „Das erste Mal blitzte es bei ihm zu einer Zeit auf, als seine Lebenssäfte anstiegen und seinen Leib kräftiger zu durchströmen begannen.“ (S. 9) Diese Blitze aus den Fingern erinnern an Lipuš‘ großes Frühwerk, den Zögling Tjaž – 1981 das erste Mal in deutscher Übersetzung von Helga Mracnikar und Peter Handke erschienen, 2016 neu aufgelegt beim Jung und Jung Verlag, versehen mit einer Nachschrift von Florjan Lipuš und einem Nachwort von Fabjan Hafner –, die Blitze erinnern also an das böse Kratzen des widerborstigen Internatszöglings, des damaligen Alter Ego von Lipuš. Dass es „aus seinen Fingernägeln blitzte“, wird zum Markenzeichen und Geheimnis des Ich-Erzählers von Seelenruhig. Ob er nun, wenn „sich an ihrem Kleid die Rundungen ihres Körpers zeigten […] nicht einen armseligen Blitz, sondern eine ganze Salve nach ihr abgefeuert“ (S. 11) hat, der Blitz also für die erotische Leidenschaft steht, oder ob er die Energie ausdrückt, die der Heranwachsende in das Schreiben ableitet, mag die Leserin nach Konsultation der Leseprobe (S. 8-13) entscheiden. Es zahlt sich aus, das Buch zu kaufen und weiter zu lesen, das tut es ohnedies; freilich lesen wir nun auch aus dem besonderen Grund weiter, weil wir neugierig sind, ob das Zucken der Blitze aus den Fingerspitzen im Alter aufhört. Was würden Sie vermuten, liebe Leserin?

Die Sprache

Die große Liebe und das große Geheimnis von Florjan Lipuš ist seine Sprache. Seit er schreibt, schreibt er seine Sprache, schreibt er im Grunde ein einziges Buch, schreibt er seine eigene Sprache in seinem eigenen Buch. Wut und Geheimnis? Lipuš ist ein Verschlüsselungspoet. Das Schreiben in seiner Sprache ist für ihn eine Kodierungsmaschine zwischen der Welt – Berge, Wiesen, Bauernhof, Dorf, Menschen und ihre merkwürdige Kultur, ein Liebes- und Totentanz, Wald, und wieder Berge, Berge – und ihrer wahren Bedeutung. Eine Sprache für sich, eine Geheimsprache, einfach, und doch schwer auszulesen. Es ist die Landessprache der Leute, welche die Landsleute doch schwer verstehen, sowohl die in Ljubljana wie auch die in Koroška. Wie kommt das? Man hat schon behauptet, Lipuš schreibe seinen eigenen Dialekt. Sein eigenes Kärntner Slowenisch, von ihm selbst zur Literatursprache erhoben, ein Beitrag zur Weltliteratur in einer Sprache, die nur einer schreibt. Was Deleuze und Guattari von den Kleinen Literaturen am Beispiel von Kafka und Prag sagen, gilt im Falle von Lipuš in allerextremster Weise. Die sprachliche Deterritorialisierung der jiddisch sprechenden und deutsch schreibenden Prager Juden in einer tschechisch-sprachigen Umgebung präformiert, was der Kärntner Kafka Lipuš auf die Spitze treibt. Ich als Deutschkärntner, der kein Slowenisch versteht, könnte das alles aber auch gar nicht beurteilen, wenn die Lipuš’sche Kleine Literatur wirklich ein Ein-Mann-Betrieb wäre. Doch zum Glück ist sie es nicht, sie ist, wie jede kleine Literatur, ein Netzwerk, ein kleines, aber feines.

Die Vermittler

Der erste im Lipuš-Netzwerk ist Peter Handke. Er war es, der Lipuš seinerzeit für die deutschsprachige Leserschaft entdeckt hat. In diesen Tagen feiert Handke ja seinen 75. Geburtstag. Die innere Ähnlichkeit in der Gestalt des Lebenswerks, des einen Buchs, an dem Handke seit Jahrzehnten schon schreibt, mit dem einen Buch des um fünf Jahre älteren Jubilars ist nicht zu übersehen. Die Seelenruhe atmet auch das Handke’sche Œuvre. Johann Strutz, der mittlerweile langjährige Übersetzer und Lipuš-Stellvertreter im Deutschen, ist ein stiller Diener. Man kann nur ahnen, was er mit seiner Übersetzung von Lipuš‘ oft an die Grenzen des Sagbaren reichender Prosa schafft. Und Fabjan Hafner, dessen Nachwort zur deutschen Übersetzung von Mirne duše in äußerst tragischer Weise zu seinen letzten Worten geworden ist: Er hat im Nachwort eben solche Worte gefunden, die ihn, der Lipuš auch übersetzt hat, als designierten Nachfolger des Schreibens in der Sprache der Grenze gezeigt hätten, wenn er den Meister überlebt hätte; so ist er ihm, bis in den Tod, getreu geblieben.

Florian Lipus Seelenruhig
Erzählung.
Aus dem Slowenischen von Johann Strutz.
Mit einem Nachwort von Fabjan Hafner.
Salzburg: Jung und Jung, 2017.
111 S.; geb.
ISBN 978-3-99027-099-8.

Rezension vom 18.12.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.