#Roman
#Debüt

Sechzehn Wörter

Nava Ebrahimi

// Rezension von Erkan Osmanovic

„Wie ein netter kleiner Familienausflug“ –
Freude, Trauer und Hoffnung in sechzehn Wörtern.

„Fariba fand meine Großmutter im Wohnzimmer auf der Couch. Die Details knallen wie Peitschenhiebe auf meine Mutter nieder:/In einem Kleid aus grünem Samt./Mit grüner Spitze am Dekolleté./Die Lippen rot angemalt./Das Haar rundgeföhnt./»Wie eine Puppe hat sie ausgesehen. Wie eine Puppe, mit der niemand mehr spielen will.« Die Cousine dreht sich mit dem Oberkörper nach vorne, schlägt sich mit den flachen Händen auf den Kopf, schreit.“ Großmutter ist tot. Mona fliegt zusammen mit ihrer Mutter zur Beerdigung nach Teheran. Es soll eine kurze Reise in den Iran werden – so der Vorsatz. Doch kaum angekommen, verdichten sich die Fäden, Erinnerungen und Befürchtungen verknoten sich in einander: der Fernseher der Großmutter flimmert in ihrem Kopf; Granatäpfel, die ihr verstorbener Vater für sie geschnitten hatte; die Sittenpolizei, die an jeder Ecke lauert. Doch das ist alles in Ordnung, alles nur halb so schlimm. Sie ist nur kurz da, der Rückflug schon gebucht.

In Sechzehn Wörter führt Nava Ebrahimi die Familiengeschichte der deutsch-persischen Mona anhand von sechzehn Farsi-Wörtern zusammen. Die Knotenpunkte dieses Teppichs bilden: ihre Großmutter, ihre Mutter, ihr Vater, Rami und Jan. Ihre Großmutter, Maman-Bozorg, die sich selbst als Mittelpunkt des Weltgeschehens gesehen hat, ist der Anfangspunkt und gibt die Struktur für Monas Hassliebe zum Iran vor. Denn Maman-Bozorg zeigte ihrer Enkelin nicht nur, wie man eine selbstbewusste Frau zu sein hatte, sondern drängte sich auch ständig in das Leben ihrer Umgebung. So muss Mona ihre Gedankenfäden bei der Beerdigungsfeier zurecht stutzen, nachdem beim Anblick einer trauenden Frau auch weniger schöne Worte hervortreten: „»Du warst immer für mich da, wenn es mir schlecht ging!« Ein Gedanke schleicht sich heran: Vor allem dann war meine Großmutter da. Ein störender Gedanke, er hat auf einer Trauerfeier nichts verloren. Ich verscheuche ihn wie einen streunenden Hund. »Dein Herz und deine Tür standen immer offen.« Rein kam man schnell, raus ebenfalls. Auf Stockschläge reagiert der Hund nicht. »Niemand in der Familie war so großzügig wie du.« Großzügig mit Liebe, verschwenderisch mit Verwünschungen. Der Hund macht einen kleinen Bogen und kehrt wieder zurück. »Du hast für alles Verständnis gezeigt.« Fehltritte anderer interessierten sie besonders.“ Und dann fällt der Satz, den Mona nicht verscheuchen kann. Der Satz, dessen Fäden sich um Mona wickeln. Die Frau ruft: „»Du hast dich für deine Tochter und Enkeltochter aufgeopfert.« […] Es ist kein Hund, es ist ein Wolf.“ Maman-Bozog hat ihre eigene Tochter mit dreizehn verheiratet und ihre Enkelin drängte sie, noch vor dem dreißigsten Lebensjahr im Hafen der Ehe anzukommen – auch wenn der Mitreisende ein Deutscher sein sollte: „»Komm – du hast doch einen Khastegar! Oder zumindest einen Freund? Das kannst du mir nicht weismachen. Was ist denn mit den deutschen Männern los? Du bist jung, lebst in Azadi und hast keinen Mann?«“ Doch wie kompliziert das Liebesleben für eine Frau, ja für jeden in Deutschland sein kann, versteht Maman-Bozorg nicht, und sie will es auch nicht wissen.

Was Maman-Bozorg damals nicht ahnen konnte: Mona zeigt sich den iranischen Männern nicht ganz verschlossen – und das nicht nur in kultureller Hinsicht. Denn während in der neuen Heimat ihr Freund Jan auf sie wartet, vergnügt sie sich in der alten Heimat mit dem verheirateten Rami. So wird der Iran für Mona auch zu einem Raum für Azadi. Aber wo liegt eigentlich nun Azadi, also die Freiheit? Für die Großmutter war das einfach: in Deutschland. Dort hatte sie sich vor dem Fenster umgezogen – Blicke der Nachbarn wurden ignoriert, aber eigentlich willkommen geheißen. Und für Mona? Als Journalistin ist sie gescheitert. Jetzt arbeitet sie als Ghostwriterin für Autobiografien. Die Beziehung zu Jan? Lauwarm. So etwas wie Azadi spürte sie zuletzt in ihrer alten Heimat. Genauer gesagt mit 25. Damals schickte sie eine Zeitung in den Iran. Sie sollte die Sexaffäre eines deutschen Geschäftsmannes aufdecken, dem die Todesstrafe drohte – und fing selbst eine Liebschaft mit Ramin an.

Das Buch ist Ebrahimis Debütroman. Der auch prompt den Österreichischen Preis für das beste Debüt bei der BUCH WIEN 2017 erhielt. Ebrahimi, selbst im Iran geboren, erzählt auch von Monas Vater, der, deprimiert vom Ausgang der Islamischen Revolution, Obst in Deutschland verkaufte, und von der deutschen Mitschülerin, die nicht mit ihr spielen durfte. Warum? Das erfährt Mona erst Jahre später auf einem Klassentreffen: „»Kannst du dich daran erinnern, wie deine Oma uns das mit der Scheide gesagt hat? Dass die zwischen den Beinen versteckt ist, weil sie stinkt?« »Nicht, weil sie stinkt. Weil sie nicht zum Herzeigen ist.« »Ich habe das beim Schlafengehen meiner Mutter erzählt. […] Sie ist total wütend geworden und hat gesagt, ich dürfte nicht mehr mit dir spielen. Man müsse die Schulleitung darüber informieren, was sei das nur für ein Frauenbild.«“

Nicht nur, aber auch darüber schreibt Ebrahimi: direkt, ehrlich und mit einer großen Portion Komik. Dabei verzichtet sie bewusst auf Effekthascherei und bedient sich aller Erzählfarben- und muster. Das Geflecht, das dabei entsteht, ist dicht, aber an den richtigen Enden auch ausgefranst. Man fühlt mit Mona, ihrer Mutter und ihrem Vater mit. Allmählich verliert man sich in der Trauer, dem Lachen, dem Zweifeln – dem Erinnern.

Nava Ebrahimi Sechzehn Wörter
Roman.
München: btb, 2017.
314 S.; geb.
ISBN 978-3-442-75679-7.

Rezension vom 14.03.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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