#Prosa

Seawas, Grüssi, Salamaleikum

El Awadalla

// Rezension von Monika Maria Slunsky

Vordergründig ist die U-Bahn in Wien ein öffentliches Beförderungsmittel, mit dem bloßen Zweck, die Fahrgäste von einem Ort zu einem anderen zu bringen. Tiefgründig kann man die U-Bahn als Synonym für einen vielfältigen Mikrokosmos sehen, in dem sich die Wienerinnen und Wiener frei und ungeniert bewegen. Von diesem alltäglichen Großstadttreiben erzählt uns El Awadalla, auf herrlich amüsante Art, in ihrem Buch Seawas, Grüssi, Salamaleikum.

Tiefe und tiefgründige Dialoge in der U-Bahn.

Als ehemalige Pendlerin zwischen dem Burgenland und Wien weiß die österreichische Autorin nur allzu gut, welche Gespräche und Szenen sich im Wiener Untergrund ereignen.
Beeindruckend ist, wie authentisch El Awadalla die Wiener Mundart zu Papier gebracht hat, denn die Dialoge wirken wie im O-Ton rezitiert. Somit erhalten wir nicht nur einen tiefgründigen, sondern vor allem realistischen Einblick in ein Insiderwissen, das von kulturgeschichtlichem und soziologischem Wert ist.

Bei der Lektüre von Seawas, Grüssi, Salamaleikum befinden wir uns auf einem Streifzug durch die Bezirke Wiens, der chronologisch mit den Stationen der „U1“ beginnt und mit jenen der „U6“ endet. Dabei begegnen wir einer Vielzahl an Charakteren, denen einzig die wienerische Eigenart gemeinsam ist. Mehr oder weniger unfreiwillig treffen dann Vertreter unterschiedlicher Gesellschaftsschichten aufeinander, aber vor allem geraten sie aneinander.
Ganz nach Lust und Laune finden die Stadtbewohner in Seawas, Grüssi, Salamaleikum stets einen Grund um zu streiten, zu jammern, zu provozieren und zu schimpfen und besonders um sich in fremde Angelegenheiten einzumischen. El Awadalla präsentiert uns den „typischen“ Wiener sozusagen wie aus dem Leben gegriffen. Obwohl keine Lebensgeschichten erzählt werden, kommen ernste Themen nicht zu kurz. Denn die Fahrgäste äußern in der U-Bahn offenbar liebend gerne  und lautstark ihre Meinung über Politik, Erziehung und ihre Mitmenschen.

Da mischt sich beispielsweise eine Frau in eine (vermeintliche) Drogenübergabe ein, während in einer anderen U-Bahnlinie ein schreiendes Baby für einen Tumult sorgt. Und die Fans der gratis U-Bahn-Zeitung wollen eigentlich nur ihr morgendliches News-Update rituell abhalten. Die Konflikte werden oft durch Banales angestachelt, wie das Essen oder Trinken von Fahrgästen oder die Mitnahme eines Fahrrads. In vielen Szenen finden jene Ironie und Schadenfreude, die dem „typischen“ Wiener immer nachgesagt werden, ihren Ausdruck. Die eine oder andere zynische Bemerkung wird getätigt, so zum Beispiel, wenn deutsche Touristen nach dem Weg fragen.
Neben dem humorvollen Aspekt der „small-talk“-ähnlichen Dialoge gibt es einen tiefsinnigen Unterton. Dieses Leitmotiv besteht in der Frage nach dem Migrationshintergrund, die von den Fahrgästen selten vorurteilslos gestellt wird. Die Lektüre von Seawas, Grüssi, Salamaleikum regt dazu an, die eigenen Augen und Ohren in der U-Bahn künftig offen zu halten oder sich gar einzumischen, wenn Vorurteile zu Konflikten führen.

El Awadalla bereitet uns nicht nur Lesegenuss, sondern sie leistet auch einen sprachwissenschaftlichen Beitrag. Akribisch wurde das Gehörte niedergeschrieben und damit der Wiener Mundart ein Denkmal gesetzt. Außerdem hat die Autorin mit Liebe zum Dialekt ein ausführliches Glossar zum Nachschlagen erstellt. Es gilt anzumerken, dass die Verschriftlichung der mündlichen Sprachform freilich eine subjektive Vorgehensweise der Autorin ist. Sie nimmt keine Normierung des Dialekts vor, dafür steht die Authentizität viel zu sehr im Vordergrund. Die „typisch“ wienerischen Dialektwörter wie „keewön“, „uaschl“ oder „kiwara“ bringen uns, sowohl als Wiener als auch als Nicht-Wiener, zum Schmunzeln. Allen Dialogen ist jeweils eine kurze Situationsbeschreibung vorangestellt. Dies unterstreicht den szenenhaften Stil.

Die Gespräche werden allgemein, namenlos und unbestimmt geführt. Entsprechend den Figuren, die wie Karikaturen wirken, hat Hannes Gröblacher das Buch illustriert. El Awadalla zeigt die Klischees auf, anstatt sich ihrer zu bedienen. Die Autorin hält den Wiener Fahrgästen einen Spiegel vor, der reflektiert, wie sie in der U-Bahn wirklich sind. Besondere Freude bereitet das laute Vorlesen der Dialoge.

El Awadalla Seawasm Grüssi, Salamaleikum
Tiefe und tiefgründige Dialoge in der U-Bahn
Mit zahlreichen Illustrationen von Hannes Gröblacher.
Wien: Milena, 2012.
201 S.; brosch.
ISBN 978-3-85286-221-7.

Rezension vom 15.05.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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