#Essay

Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche.

// Rezension von Wolfgang Straub

Der Rummel um das neue Buch des Wiener Essayisten Franz Schuh war groß. Das deutsche Feuilleton erging sich in Begeisterung und die Leipziger Buchmesse erkannte ihm den Sachbuchpreis zu. Hatte man das Buch zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgeschlagen, konnte der breite Konsens etwas verwundern. Nicht dass an der Preiswürdigkeit des Autors irgend etwas fragwürdig erscheinen konnte, vielmehr war der letzte Essayband „Schreibkräfte“ (2000) streckenweise alles andere denn leichte Kost, mit Tiefenbohrungen etwa in das Werk Konrad Bayers – und wenn eine Publikumsmesse einen ihrer großen Preise vergibt, kann man doch eine gewisse „Breitenwirksamkeit“ annehmen. Schreibt Franz Schuh seit Neuestem also „populär“?

So kann man das natürlich nicht sagen, aber Schuh schreibt weniger das Wissenschaftliche mitdenkend (-schreibend), daher vielleicht auch „leichter“ als bei der letzten Publikation. Was Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche versammelt, sind weniger Essays denn Prosadichtungen – da lag die „Neue Zürcher Zeitung“ genau richtig (und natürlich ist das kein „Sachbuch“, aber diese Absurdität wurde zur Leipziger Buchmesse zu Genüge angeprangert). Ein Weniger an „Essayismus“ bedingt hier ein Mehr an thematischer Auffächerung, Streuung. Zerstreut war Schuhs Schreiben immer schon etwas, diesmal scheint er sich beim Streunen durch den Alltag und durch seine Denkgebäude noch weniger Stringenz auferlegt zu haben. Man hat beim Lesen das Gefühl, alles kann jederzeit herangezogen werden (etwa das „wunderschöne Wort“ Sozialversicherung) – und das macht einen beträchtlichen Teil des Vergnügens beim Lesen der 112 versammelten Texte aus.

Natürlich gibt es in der Schuh’schen Apperzeptionsmaschine ganz bestimmte Auswahlkriterien bei den auf das Ich hereinbrechenden Informationen und Reizen, und keinen geringen Teil seines Schreibens verwendet der Autor darauf, eben diese Vorgänge zu beschreiben und zu verstehen. Da ergeben sich viele Gelegenheiten, nicht nur die eigenen psychischen Verfasstheiten, sondern auch den Körper – die schwerfällige Maschine, die das alles antreibt und zugleich vieles verhindert – ins Spiel zu bringen. Auch in den „Schreibkräften“ war der Körper als biographische Konstante in Schuhs „monadischer Schreibküchenexistenz“ (D. Strigl) ständig präsent, hier scheint nun überhaupt alles vom Körper auszugehen, durch ihn durchzulaufen, und oft bringt der Autor, mitunter geradezu kokett, physische Unzulänglichkeiten ins Spiel. Das geht bis zum Beinah-Therapeutischen wie in „Mein Feind“, wo der eigene maßlose Körper, die Fresssucht zum Feind wird – aber wie bei jeder Sucht auch ein Surplus besteht: „Ich bin, seit ich ihn, meinen Feind, habe, nicht mehr allein.“ Die Frage ist allerdings, ob sich die Unzulänglichkeiten des (schreibenden) Körpers im Text, wenn sie so zulänglich literarisiert werden, nicht auflösen – die Dumpfheit und die Müdigkeit des Körpers kommen in tagheller Prosa daher.

Neben der Physis als Konstante und Instanz des Buches lassen sich dann doch verschwommen zwei Leuchttürme im ziel- und genrelosen Umherflanieren ausmachen: zum einen die Macht der Melancholie, die an den vermeintlich schönsten Orten und erst recht in der verachteten österreichischen Provinz (Salzburg! Linz!) über das Ich hereinbricht; zum anderen der Fokus auf das Abseitige, Beiseiteliegende, das Nutzlose. „Verwertbares“, „Sinnvolles“ interessiert den Autor nicht. So bricht er eine Lanze für das Klischee, stellt die Langeweile oder das Scheitern in den Mittelpunkt und schreibt mit dem Text „Lob der Nutzlosigkeit“ einen „typischen Schuh“. Er läuft zu Hochform auf, wie er beschreibt, dass das wirklich, das absolut Nutzlose gar nicht zu finden sei, immer habe man es mit „relativ Nutzlosem“ zu tun. Wie er hier an einem Beispiel aus der eigenen Biographie (ein kaputter Computer) exemplifiziert und hin zum Allgemeinen, der Kunst, dem Krieg, der Zerstörung wechselt, dabei ähnlich wie Georges Bataille in seiner Verschwendungstheorie argumentiert, ohne auf diesen Diskurs zu rekurrieren, das ist, ja, hohe Essaykunst und auf jeden Fall gute Literatur.

Franz Schuh frönt oft dem Gestus des Vagen, Vorsichtigen, er postuliert nicht, gerade bei Erinnertem ist er sehr zurückhaltend („wenn ich mich recht erinnere“, „ich erinnere mich sehr vage an eine Anekdote“). Geht es aber ins Sprachliche, kann Schuh seine Zurückhaltung auch mal ablegen und rhetorisch zupacken. Manchmal baut er Umgangssprachliches ein, und dem Kalauer ist er grundsätzlich nicht abgeneigt: „es war halt (halt!) der einzigartige, der auratische Augenblick“. Nur manchmal bleibt es beim einfachen Sprachwitz, meist funktionieren die Schuh’schen Aussagen auch über die Rhetorik, etwa: „Das schlechte Gewissen ist mir stets näher als die gute Tat“ oder in der Polemik gegen die „Leitkultur“, die in Österreich eine Kultur der Leitartikel sei.

Noch eine Leistung des Buches: Endlich, endlich wird einmal mit den grassierenden „Taxi-Anfängen“ im Feuilleton und in Sonntagsreden ins Gericht gegangen: „Es gibt diese Geschichten, die damit anfangen, dass einem ein Taxifahrer etwas erzählt. Dahinter steckt die Auffassung, Taxifahrer wären die Personalisierung des repräsentativen Querschnitts einer alteingesessenen Bevölkerung (…). Nein, solche Geschichten mag ich nicht.“

Essays.
Wien: Zsolnay Verlag, 2006.
416 S.; geb.
ISBN 3-552-05370-0.

Rezension vom 12.09.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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