Und nun zum 85. Geburtstag ein „Würdigungsbuch“. Der Festschriftcharakter blieb erhalten, doch ist der Bogen weiter gespannt, wie die beiden Herausgeberinnen im Vorwort schreiben: „Wir haben Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde aus Jugendtagen und neugewonnene aus jüngster Zeit, ehemalige Studentinnen und Studenten, Kolleginnen und Kollegen, Verehrerinnen und Fans aus verschiedenen Erdteilen, von Europa bis Neuseeland, von Nordamerika und Kanada bis Lateinamerika eingeladen, zu diesem Buch beizutragen“ (9f). Entsprechend vielfältig sind die Beiträge in Deutsch, Englisch und Spanisch: Ausführungen zu Brecht, Josef Popper-Lynkeus oder Vladimir Vertlib und zu lebensbegleitenden Sujets wie Identität, Erinnerung oder Alter. Geburtstagsbriefe, Erinnerungen, Anekdoten und Hommagen und sogar kulinarische Präsente werden überreicht, wenn auch nur schriftlich. Andere Geburtstagsgeschenke nehmen die Form unveröffentlichter literarischer Texte an, so von F. C. Delius und Josef Haslinger. Irène Lindgren, eine germanistische Freundin aus Schweden, verfasste gar ein „intrikates Dramolett“ zur Schnitzler-Rezeption in ihrem Land. Last but not least haben wir das Vergnügen, einige bisher unpublizierte autobiografische Texte von Egon Schwarz selbst zu lesen.
Da ist Egon Schwarz, der Literaturwissenschaftler. Kollegen schätzen ihn als „Musterexemplar eines unabhängigen, unangepassten Intellektuellen“ (Weinzierl, 36), erinnern an seine Nichtanfälligkeit für methodische Moden, den wissenschaftlichen „common sense“, seine „Fähigkeit und wissenschaftliche Potenz, den verschiedenen Theorien das zuzugestehen, was ihnen zukommt, sie aber nicht wichtiger zu nehmen, als sie sind“ (Obermayer, 199). Schwarz entwerfe nicht das „Bild“ eines Autors, sondern eine „Röntgenaufnahme mit scharfen Konturen und der Darstellung des Wesentlichen“ (Urbach, 75). Als „Insider aus dem Ausland“ (Rossbacher, 204) habe er sich einen Blick auf die Literatur bewahrt, der komparatistisch und „bewusst grenzüberschreitend“ (Wodak, 106) sei.
Egon Schwarz, Absolvent der „Schule der Weltläufigkeit“ (Pfoser, 202), verdankt diese nicht zuletzt der bitteren Erfahrung des Exils, unter der jedoch die Souveränität, Klarheit und Großzügigkeit im Urteil nicht gelitten haben. Schwarz sei, so Herbert Lindenberger, „fearless when it comes to politics“ (51), vermittle zugleich „the firm sense that something may be very right in this world after all“ (Fehervary, 121). Laureen Nussbaum bezieht sich in ihrer Hommage auf den Buchtitel: „Auch wenn er schwarzsieht und kaum erwartet, dass die Menschheit sich ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit entledigt, so hat Egon Schwarz doch immer mit großer Hingabe und souveränem Können das Seinige zu dieser geringen Möglichkeit beigetragen. Deshalb lieben wir ihn“ (126). Im abschließenden Essay „Von der Verantwortlichkeit und Wirkung der Dichter“ schreibt Egon Schwarz selbst von der Möglichkeit, „nach vorsichtiger Erwägung der historischen Umstände […] zu einem Urteil zu kommen, was verantwortungsvolles Verhalten gewesen wäre, wobei man allerdings niemals die gebrechliche Einrichtung unserer Welt außer Acht lassen sollte“ (253).
Egon Schwarz ist ein hervorragender Wissenschaftler, ein guter Lehrer und ein unverwechselbarer Zeitgenosse. Für Ulrich Weinzierl personifiziert Schwarz den „atmosphärischen Charme unwiederbringlich vergangener Wiener Tage, einer spezifisch österreich-jüdischen Kultiviertheit – gemengt aus Weisheit, Witz und Melancholie“ (37). Furchtlos kennt ihn die empathische Zeichnung von Jacqueline Vansant als schusselige Comicfigur „Mr. Magoo“, die Abenteuer und Alltagskatastrophen wie ein Magnet anzieht, „oblivious to any impending danger“ (212).
Neben Egon Schwarz stand seine Frau Dorle, die im Dezember 2006 verstorben ist. Ohne sie wäre er nicht der Literaturwissenschaftler und Mensch geworden, der in diesem Band gewürdigt wird. Immer wieder taucht sie in den Hommagen auf, Schwarz widmet ihr selbst den berührenden Essay „Dorles botanische Extravaganzen“ (242-244).
Wenn Schwarz auf Weiß überhaupt Wünsche offen lässt, dann liegen sie in einer Chronologie der wichtigsten Lebensdaten des Gewürdigten; auch eine Bibliographie wäre angebracht gewesen. Zum sehr persönlichen Ton vieler Beiträge hätte man sich noch begleitende Fotos vorstellen können. Doch eigentlich genügt jenes auf dem Buchdeckel: dort lächelt uns Egon Schwarz mit seiner ganzen Menschlichkeit entgegen. In seinem Beitrag „Proust in Potosí“ stellt sich F. C. Delius folgenden Romanstoff vor: „In den Zinnminen Boliviens, die zu den schrecklichsten Ausbeutungsorten der Welt gehören, hoch in der Ödnis der Anden, arbeitet einer wie E. S., um zu überleben, als Nachtwächter und Aufseher der Nachtwächter, Metallurg, Gewichtskontrolleur und Laborant – und dank eines Wiener Laborchefs, der dreihundert Bände seiner Bibliothek gerettet hat, kann er Flaubert, Dostojewski, Proust, Rilke, Gide, Thomas Mann, Dickens, Ibsen usf. lesen“ (149). Literatur als Überlebensstrategie, als das, was einen Menschen zum wahren Menschsein verhelfen kann. Diesen Roman wünschen wir uns für Egon Schwarz – und für uns selbst.