#Prosa

Schutzengel

Günther Nenning

// Rezension von Helmuth Schönauer

Jeder braucht einen, fast jeder hat einen.

„Gelt, das kann nicht jeder, in der ‚KRONE‘ und im ‚profil‘ zu schreiben!“ sagte Günther Nenning einmal in seiner unnachahmlich-volksaufklärerischen Schlichtheit während eines Interviews. Eine Spätfolge dieses Schreib-Spagats besteht darin, daß Nennings Bücher im gängigen Literatubetrieb kaum einzuordnen sind.
Die philosophisch-literarische Volkserzählung über die „Schutzengel“ etwa tauchte in einer Innsbrucker Buchhandlung im zweiten Stock unter Grenzwissenschaften auf, der Rezensent hatte sie zuvor vergeblich unter Literatur, kleine Gaben, Politik, Religion und Austriaca gesucht.

Als Ausgangspunkt für seine Reflexionen und Gedankenspiralen dienen Günther Nenning verschiedene Schutzengelbildchen, die im Band auch in voller „Kitsch-Blüte“ abgedruckt sind. Ursprünglich wurden diese Bildchen für besonderes Bravsein, Wallfahrten oder Ministrieren verteilt. Bei genauerem Betrachten zeigen sie allerhand Nützlichkeiten für den Lebensschutz.

So hat etwa Peter Pongratz‘ Schutzengel Sandalen an (S. 15), während die Engel üblicherweise den Boden mit den Füßen gar nicht berühren. An einer anderen Stelle gießt ein Engel das frischbestellte Feld mit einer handlichen Gießkanne (S. 43), und Günther Nenning fordert mit der Bildunterschrift die EU-Kommissäre auf, ähnlich sorgfältig auf die Bauern zu schauen. Die Hauptstationen des Streifzuges durch das Engelreich sind jeweils mit einem markanten Spruch übertitelt. „Bist katholisch?“, was so viel heißt wie „Bis deppert?“, ist der erste Spruch, der im Zusammenhang mit den Schutzengeln fällt. Damit diese nämlich ihre Aufgabe erfüllen können, müssen sie klug sein, das heißt sie dürfen nicht katholisch sein.
Im Anschluß an diese Grundthese wird nachgewiesen, daß Engel eigentlich Juden sind, weil sie ohne Seitenabstecher zum Jesus ihr Programm erfüllen.
Daß natürlich die offizielle Kirche ein sprödes Verhältnis zu Engeln hat, das zwischen demagogischer Ablehnung und intellektueller Ignoranz oszilliert, freut den Schutzengel-Autor sichtlich.

Ein üppiges Kapitel befaßt sich mit dem sogenannten geilen Engel, der in sexuellen Turbulenzen vor fast allem außer vor Geschlechtskrankheiten schützen kann. Deshalb taucht der wollüstige Schutzengel auch im Barock flächendeckend in unseren Landen auf.
Der technisch auffrisierte Engel unterstützt besonders Fluglinien, sorgt aber auch bei frisierten Landmaschinen für einen ordentlichen Verkehr.

Das Schutzengel-Buch zeigt neben dem recherchierenden auch den literarischen Nenning auf dem Höhepunkt. Nennings Literatur ist gekennzeichnet durch Selbstironie (der Verlag sei beim Textumfang sehr genau), Verschmelzung verschiedener Sprachebenen und Sprachanlässe (Bodyguard des Himmels) und Griffigkeit der Bilder (Nenning greift immer mit beiden Händen zu).

Daß diese Art, stündlich der Zeit den Puls zu messen, auch manchmal daneben gehen kann, zeigt die Stelle, wo Nenning noch eine Ode auf die Friedfertigkeit der NATO singt, nicht wissend, daß diese sich zum 50-Jahr-Jubiläum selbst den schon lange gewünschten Krieg schenken würde.
Das Schutzengel-Buch nimmt dem Leser jedenfalls die Angst, sich zwischendurch mit fast kitschigen, Nenning würde sagen „gatscherten“, Themen zu befassen. Somit ist die Aufklärung rundherum geglückt.

Günther Nenning Schutzengel
Erzählung.
Wien, München: Christian Brandstätter, 1999.
63 S.; geb.
ISBN 3-85447-821-6.

Rezension vom 06.05.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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