#Lyrik

schreibennichtschreiben

Barbara Hundegger

// Rezension von Marietta Böning

Den Wörtern in „dingen, stimmen, stillen, in taten“ nachdenken, was „sie so sagen, so tragen, versprechen und halten, nicht halten“, so beginnt der Aphorimus „zuletzt“ aus Barbara Hundeggers 26 Texte umfassenden Zyklus „sns – facetten eines widerständigen alphabets“. Zuletzt – wie z – lässt es ahnen: Am Ende des Zyklus steht als letztes nach der Abzählung des Alfabets in 24 Texten Aphorismus a, a wie „anfänglich“. Eine Wiederkehr des Gleichen- Das Nachdenken beginnt auf’s Neue.

Der aphoristische Zyklus leitet als Prolog den lyrischen Zyklus schreibennichtschreiben ein, und „zuletzt“ ist dessen Programm. Das Nachdenken wird beobachtet, von einem – Subjekt? Wenn es so ist, negiert es sich durch die eigene Setzung als BeobachterIn gleichzeitig. Es gesteht den Wörtern nämlich zu – und auch den Dingen – über es selbst zu räsonnieren: „zuletzt lässt du halt doch immer wieder die wörter nachdenken über dich“. Solch Zugeständnis der Subjekt-Schwächung begründet seine Kapitulation folgendermaßen: „weil nur so meinst du dem zu entkommen, was alles dich erdrückt […] kann aufkommen […] was dich daran berückt“. Und dann klirren sie, die Assoziationsketten über die Buchstaben y bis a, in denen Objekte immer wieder zu Subjekten werden und vice versa. Buchstabe Y beispielsweise: In Ybbs hat man noch nie gelesen – aber wer weiß schon, ob Ybbs den Dichter/die Dichterin las. Oder Text x wie „xerophyten“ (xerophyten sind Pflanzen, die sich an trockene Standorte angepasst haben). Er berichtet über geringere Honorare für Künstlerinnen verglichen mit jenen ihrer männlichen Kollegen: „selbstverständlich wird darüber auch im kunstbereich kein wort verloren, so als handelte es sich dabei um eine von niemandem aushebelbare naturgesetzlichkeit“.

Aufgrund der Positionierung dieser Aphorismen unter den Subtitel des Bandes „Lyrik“ könnte man annehmen, Hundegger erhebe Sätze wie diesen, die per se keine Kunst sind, zu „Kunst“ wie einst Duchamp Gebrauchsgegenstände. Unter l wie „lyrisch“ zitiert sie einen Artikel aus der nzz über die Selbstmordrate von LyrikerInnen. Die Schreibflucht outet sich in diesem Sinne als eine vor der Selbst-Negation. Dass die ökonomischen Gesetze der Literaturszene in Reflektionen über Literatur und Schreibbedingungen meist ausgespart werden, kostet Wahrheit. Hundegger nennt sie hier bei den Wörtern. In „mäzenatentümer“ bringt sie auf den Punkt, womit zugleich ihr Standpunkt klar ist: Kunst geht ihr nicht über die Wahrheit. Also ist es vielleicht gar nicht so, dass sie pragmatische Sätze – Aphorismen – als (Anti-)Kunst setzt, indem sie in einem Lyrik-Band erscheinen, also den Leser/die Leserin erstaunen? Ist es doch eher so, dass der Lyrikband „schreibennichtschreiben“ durch eine Negation der Kunst eingeleitet wird? Ist es so, dass diese Texte durch die Titulation „Anti-Kunst“ marginalisiert würden?

Und diese Poetik räumt auch auf mit k wie „klischees“. Die/der Dichtende ist „nicht der einsame große, der nichts im sinn hat als seine berufung und nichts braucht, als ihr zu folgen – und in dessen gefolge nie erwähnt wird, wer ihn stützt“. Das sind bis in die Literatursoziologie sich haltende Klischees. Man denke etwa an Pierre Bourdieus Vorwurf gegen Lyriker wie Mallarmé oder Baudelaire, die angeblich aufgrund ihres Symbolismus eben ihre existenzielle Abhängigkeit vom autonomen literarischen Feld negiert hätten. Wenn Hundegger statt Lyrik zu Beginn ihres Bandes anzubieten wahre Sätze schreibt, dann hat das etwas von einer Bereinigung von literaturgeschichtlichen Irrtümern – Irrtümern der Exegese. Wut über die Tatsache, dass es notwendig ist, klar zu schreiben, und auch noch dort, wo die Dichterin gehört wird, damit die klaren Sätze gehört werden: im Lyrik-Band – ein „Bilderrahmen“ – selbst. Du kennst und die Lyrik kennt dich als „Flügel“, lesen wir unter q wie „quarantänen“ und „weißeres weiß“ gelangt in die Gedichte in „heimwerken“ – beides Anklänge an Stéphane Mallarmé, wenn man so will; kein Bruch mit dem Symbolismus, sondern Auseinandersetzung mit der naiven Annahme, dichterische Existenz würde aufgrund der Ästhetik ihrer Formen allgemein verklärt werden – gar von den Dichtenden selbst.

Vom Dichten handelt auch der lyrische Zyklus „schreibennichtschreiben“. Reflektionen über die als rohes Material vorliegende Sprache, mit der die Dichter auch nichts anderes tun als zu basteln, über das Nichtsprachliche („Weiße“ – wieder ein Mallarméscher Topos), das einfällt, und das Musikalische und die Wahrnehmung der Dinge. „schreibennichtschreiben“ besteht aus 57 Gedichten. Sie sind in zwanzig kleinere Abschnitte unterteilt. Jeden Abschnitt leitet ein „Aufmacher“ ein. Die „Aufmacher“ sind Aneinanderreihungen von mehreren Subjekt-Prädikat-Anordnungen im Partizip Perfekt Passiv: „zorne entfesselt zwecke / geheiligt zepter geschwungen […]“. Die Subjekte beginnen mit den gleichen Buchstaben, die Prädikate mit denselben Silben (ge- und ver-). Die Subjekte des ersten Abschnitts mit „z“, jene des letzten der zwanzig mit „a“ – auch also hier die Kreisbewegung der Wiederkehr des Gleichen in der Sprache. Die Titel der dem „Aufmacher“ folgenden, zumeist drei Gedichte, sind jeweils eine Subjekt-Prädikat-Konstruktion. Sie wurde aus der Kette des „Aufmachers“ exemplarisch herausgenommen.

Zweck dieser Aufmacher mag nichts weniger sein als die Darstellung des intertextuellen Gemachtseins von Gedichten auf der sprachlichen, aber auch visuellen Ebene. „Bei der Arbeit bewegst du dich zwischen den Polen der vollkommenen Ordnung und der vollkommenen Unordnung“. Dieser Satz Peter Roseis beschreibt treffend diesen von Hundegger visuell gesetzten Spielrahmen: Die lexikonähnliche Abzählung ähnlich lautender Begriff folgt einer simplen Ordnung. Die Gedichte offenbaren lyrische Textur als höchst komplexes Assoziationswerk, dem unbearbeitet eine ungeordnete Struktur zugrunde liegt. Dazwischen steht die Alliteration. Chaotische Informationsverarbeitungsprozesse generieren aus simpler lexikonartiger Ordnung mit einfacher Semantik höchst komplexe Ordnungsstrukturen.

Die Komplexität kommt in die Wörter durch die Dinge. Die nämlich sind kontextbezogen und subjektiv und semantisch weich. Die Assoziation oder die Wahrnehmung der Dinge kann gegen ihre angelernte Bezeichnung knallen. Offen steht man ihnen gegenüber und bietet ihnen unweigerlich die Stirn: In „stirnen bieten“ prallen im Lichtstrahl sichtbare Staubpartikel, „schwerkraftlos“ wie von „kuriosem gewicht“ auf eigentlich alles. Aber mit dem Ding prallt gleichzeitig das Wort ab oder auf. Denn mit „Staubwild“ wurde es schon bezeichnet. Wörter und Dinge beschießen sich: „staubwild durch dein fenster bricht“, im umklaren – nämlich „zigarettennebel, den deine herkunft deine / zukunft um dich legt übersetzt sich etwas in / schwerkraftose wörter von kuriosem gewicht“. Die Wörter und Dinge nehmen an gewicht zu, je näher sie kommen, wie Projektile. In diesem Gedicht bleibt (inhaltlich) das Verhältnis von Wort zu Ding im Zustand eines sanften Kriegschaos. „elfer auflegen“ vermittelt ein benachbartes Bild in einer anderen Befindlichkeit. Als hätte man sich an diesen Kriegszustand gewohnt und ruhig Kräfte gesammelt, steht das lyrische Du, mit dem Hundegger immer wieder schreibt, vor den schwerkraftlosen Dingen/Worten: „noch steht nichts geschrieben noch / wartet alles als silbenluft in der luft / liegt deine flanke ungezirkelt noch“. Hundegger vergleicht das Blatt mit dem Fußball – Fluggeschoss, Projektil –, das es gegen die angeschossene „Silbenluft“ oder das angeschossene „Staubwild“ festzuschießen gilt.

Doch das dichterische Wort ist nicht deterministisch: „dein blatt fällt / nicht in tore wie bälle nur wie äpfel“. Schließlich kämpft der „wörterkopfball / über abseitsfallen mit wind“. Äpfel fallen als gewachsene Früchte abseits von gezogenen Linien, Spielregen. Sie fallen von Bäumen, die Wurzeln haben, welche wiederum unter Grenzen hindurch gewachsen sein könnten, während jene auch über einen Zaun fallen könnten. Das Geben und Nehmen erweist sich in „welten bedeuten“ als Hin und Her, das Schießen und Erleiden im Zufallsprinzip daher fast als Tautologie: Der Apfel fällt ohne Intention über die Grenze. Die Wörter sind unwillkürlich und grenzüberschneidend in die Sprache und Textur genommen wie auch aufgenommen, erworben: „dich ziehen mehr als jede reise in [die länder] die / vokabeln die du mitbrächtest aus ihnen an“.

Hundegger zieht das Thema der Flüchtigkeit der Sprache, die aber schwer an bodennahe Umstände, an Herkünfte, gesellschaftliche Regeln, Spielregeln gekettet ist und selbst im Gezogen-werden herunterzuziehen droht und deswegen wie die Waffe des Feindes anmuten kann, durch. Die Gedichte nuancieren verschiedene Schweregrade/Lasten, je nach Bild des Textes. Was Hundegger gelingt, ist nichts weniger als sich zu hoher Ästhetik lyrischer Sprache zu bekennen und gleichzeitig ihre Entmystifizierung zu repräsentieren: Ein Bekenntnis zur Kunst als Gegenwelt der Revolutionärin zu ungeliebten Regeln. Die Wortkunst aber stammt aus nichts weniger als diesen ab, unweigerlich, unmysteriös, fatalistisch.

Barbara Hundegger schreibennichtschreiben
Lyrik.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabæus, 2010.
96 S.; geb.
ISBN 978-3-7082-3275-1.

Rezension vom 20.12.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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