#Roman

Schöne Aussicht Nr. 16

Michael Dangl

// Rezension von Bernd Schuchter

Begegnungen im Park –
Ein Kammerspiel für zwei Personen
und/oder Schopenhauer.

Ein Park. Eine Bank. Ein Mann. Eine Frau. Michael Dangl entwirft in seinem neuen Roman Schöne Aussicht Nr. 16 eine schlichte Szene, in der er sein Kammerspiel vorführt. Es braucht nicht mehr, um die Geschichte der zwei Protagonisten zu erzählen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Der Mann ist ein Schopenhauer lesender Eigenbrötler, der in beruhigender Gleichmäßigkeit an jedem schönen Tag die Bank in einem abgelegenen Teil des Staadtparks aufsucht, sein Radio und seine Lektüre unter dem Arm, ein Mann, der vor allem die Ruhe sucht, den Rückzug, die Besinnung. Die Frau, eine temperamentvolle Dame in den besten Jahren, die sich noch einmal in ein Liebesabenteuer stürzen möchte, das Herz auf der Zunge, findet die Bank aus einem ganz bestimmten Grund. Von dort aus nämlich sieht man auf den Eingang einer Bar, wo sie ihre jeweiligen Verehrer per Kontaktanzeige hinbestellt, nicht ohne die vermeintlichen Lieben in spe vorher zu begutachten. So lernen sich die beiden kennen.

Es ist einfach komisch, wie Dangl die beiden unterschiedlichen Temperamente aufeinanderprallen lässt, aus einer zuerst zufälligen – und den Mann ausschließlich störenden – Begegnung entwickelt sich eine Bekanntschaft, näher und näher, bis sie schließlich aneinander Anteil nehmen und am Ende auch Gefühle entwickeln. Komisch auch die Charakterisierung des Mannes als moderner Hagestolz, der mit Schopenhauer im Leben nur ein Jammertal sieht, ebenso gelungen die Frau, die mit ihrer lebendigen Art so ganz anders ist. Beide Figuren sind auf der Suche, beide haben sich am Ende des Stücks so weit verändert, dass sie den jeweils anderen wahrnehmen können, vielleicht auch ein bisschen mehr.

Der Titel des Buches geht übrigens auf die Adresse des Schopenhauerhauses in Frankfurt am Main zurück, unter der Anschrift Schöne Aussicht Nr. 16 lebte Arthur Schopenhauer von 1859 bis zu seinem Tod. Dangl versteht es, mit leichter Hand den leicht widersprüchlichen Zusammenhang einer „schönen Aussicht“ mit der pessimistischen Weltsicht der Schopenhauerschen Philosophie in Einklang zu bringen, spielt dabei aber auch wie selbstverständlich auf die schöne Aussicht an, die man von der versteckten Parkbank aus, wo der Roman seine Handlung entfaltet, erfahren kann. Gerade die versteckten Orte ermöglichen einen anderen Blick auf die Welt, die Ruhe ermöglicht ein Betrachten der kleinen Details, seien es die Enten beim Teich oder die Kavaliere, die zum Rendezvous in die Bar eilen.

Michael Dangl arbeitet seit Jahrzehnten als Schauspieler und er zeigt auch in seinem zweiten Roman ein besonderes Gefühl für Dialoge, für das Setting, in das er seine Figuren stellt. Eingestreut in die verschiedenen Begegnungen der beiden Hauptfiguren spintisiert Dangl ein wenig über das Wesen der Natur und seine Auswirkungen auf den Menschen. Gelungen etwa ein Exkurs über den sprichwörtlichen „Grant“ der Österreicher, der ja so typisch sein soll, und den Dangl auf das spezielle Wetter in Österreich zurückführt, denn hier seien die Menschen eben „vom Klima Geschlagene“.

Dangl ist ein komisches Buch über das Alter, die Liebe im Alter und die Liebe im Allgemeinen gelungen, ein Buch über die Sehnsucht, die in uns allen wohnt, ein Buch über die Natur im Allgemeinen und die Natur des Menschen im Besonderen, ein Buch in Büchern, wie schon das Cover suggeriert, ein kluges, ein charmantes Buch, mit einem durchaus überraschenden Ende.

Michael Dangl Schöne Aussicht Nr. 16
Roman.
Wien: Braumüller, 2012.
200 S.; geb.
ISBN 978-3-99200-071-5.

Rezension vom 17.10.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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