Es wäre eine vorschnelle Kritik, die sich die genaue Lektüre ersparte, denn die Verfasserin räumt gleich eingangs ein, dass hier Facetten von Schnitzlers Werk und vom Wiener Leben der Jahrhundertwende versammelt sind. Deren Auswahl verrät nicht nur Leichtigkeit, Eleganz und die Leidenschaft eines Flaneurs, sondern auch ein profundes Wissen auch entlegener Manuskripte und weniger bekannter Lokalspezialitäten.
Zugleich ist die Arbeitsweise der Verfasserin eine reflektierte, weil sie nicht nur den Spuren der „wirklichen“ Stadt der damaligen Zeit nachspürt, sondern auch Schnitzlers „innerem Wien“, dem erdichteten und erinnerten Wien folgt und den Wechselbeziehungen zwischen Wirklichkeit und Imagination ihre Aufmerksamkeit schenkt. Dass Wien in Schnitzlers Werk eine bedeutsame und spezifische Rolle spielt, ist augenfällig, und der offenen und verborgenen Beziehungen sind so viele, dass man nicht befürchten muss, demnächst auf einen Folgeband mit dem Titel „Hofmannsthals Wien“ zu stoßen (man mag sich erinnern, wie verständnislos Hofmannsthal auf Schnitzlers Wien-Roman „Der Weg ins Freie“ reagierte).
Kapitelüberschriften wie „Liebesgärten“, „Pratervergnügen“, „Zauber der Vorstadt“, „Bicycle-Touren“ oder „Soupieren“ könnten suggerieren, dass auch hier Fin de Siècle mit Verzauberung und Nostalgie konnotiert bleiben. Doch die Verfasserin verfährt mit kulturhistorischer Genauigkeit. In dem Kapitel „Vom Panorama ins Kino“ sind die Wiener Orte versammelt, an denen Schnitzler seiner Leidenschaft für Bilder nachging, ein Blick auf die frühen Lichtspielhäuser und ihr Programm, Zitate aus den Tagebüchern, in denen insgesamt etwa 800 Kinobesuche protokolliert sind. Das Exzeptionelle von Schnitzlers Kinogängerei (die in den letzten Jahren seine Theaterbesuche übertraf) wird herausgearbeitet. Eine anregende Lektüre, die nahe legt, diese Leidenschaft mit jener anderen zu vergleichen, die in den Tagebüchern noch größeren Raum einnimmt: dem Protokoll seiner Träume.