#Roman

Schnitzeltragödie

Harald Darer

// Rezension von Helmut Sturm

Harald Darer, 1975 im steirischen Mürzzuschlag geboren, legt mit Schnitzeltragödie seinen dritten Roman vor. „Wer mit Hunden schläft“ und „Herzkörper“ erzählen von Menschen im ländlichen Raum. Ausgangspunkt im neuen Werk ist die Großstadt Wien. Der Ich-Erzähler löst seine Wohnung auf. Dabei stellt er an sich selbst die Forderung, verschwinden zu lassen, wo er herkommt.

„Ich werde nichts zurückgelassen, alles an mich Erinnernde, […] in einen großen schwarzen Müllsack gepackt und zum Müllraum gebracht haben.“ Das Problem ist, dass so ein Umzug gleichzeitig zur Nachschau zwingt und Möbel sowie dahinter liegende Abfälle wie etwa ein Mumienfingernagel, ein Dattelkern oder „mit Spinnweben umsponnene Leberkäsrinde“ andauernd Erinnerungen generieren, die dem Müllsack des Lesers übergeben werden, der diese erstaunt wahrnimmt.

Der Trick mit den Fundstücken, die auf die dahinter liegenden „Tragödien“ verweisen, ermöglicht es Harald Darer Episoden aus dem Leben des Ich-Erzählers in einen Zusammenhang zu bringen. Die durchwegs punktuellen Rückblicke ergeben so ein interessantes, nachdenklich machendes Gesamtbild. Thematisch steht dabei das Aufwachsen während des letzten Viertels des vergangenen Jahrhunderts in der österreichischen Provinz im Mittelpunkt. Es geht dabei um das Leben als Montagearbeiter im Irak, das „Krisengebiet der Kleinfamilie“, Suizid, schwarze Pädagogik, das Verhältnis Österreich – Deutschland, Stadt – Land, Urlaubsliebe und Politik. Wie bei den ersten Romanen Darers gibt es wieder viele Anknüpfungspunkte an das Genre der Anti-Heimatliteratur eines Gernot Wolfgruber, Franz Innerhofer oder Reinhard P. Gruber sowie an Thomas Bernhard zu entdecken. Allerdings bedient sich der Autor der fünfzehn Tragödien dabei recht unterschiedlicher Verfahrensweisen. Er experimentiert mit Märchen und Bericht und spielt mit Sprichwörtern. Bemerkenswert, dass darunter das Ganze nicht leidet, der „Roman“ wirkt kompakt und einheitlich.

Die „Tragödien“ werden jeweils eingeleitet durch einen mit einer Raute (#) gekennzeichneten Text, der die Gedanken des Ich-Erzählers beim Ausräumen der Wohnung und seine Begegnungen mit den Wiener „Soziales-Wohnen-Beamten“ vermittelt. Lapidar wird dabei festgehalten, dass Tragödien so schnell nachwachsen „wie Himbeerstauden im Garten“. Es wird bemerkt, dass viele Menschen so sprachlos sind, dass ihre „abgewohnten Möbel mehr als ihre Benutzer“ erzählen. Gestellt wird auch die Frage nach der Wahrheit von Erinnerung und der erzählten Geschichten. Ironisch wird vermutet, dass deren möglichst tragisches Ende nur das „Vergnügen des Erzählers“ steigern. (Wir Leserinnen und Leser dürfen freilich daran Teil haben.)

Tatsächlich liebt Harald Darer, der gegen den Euphemismus wiederholt anschreibt, das Hyperbolische und Groteske. Diese Haltung und das Spiel mit der Sprache machen die geschilderten Nachtseiten österreichischen Lebens erträglich. Es ist dann durchaus auszuhalten, dass Menschen ihr Leben „verschweinsbraten“ müssen und ihre Erinnerungen „eindemenziert“ wurden. Der Hang zum Übertreiben geht ja, wie in der Satire, oft mit dem Eintreten für eine moralische Weltordnung einher. So liegt in „Schnitzeltragödie“ neben der Abrechnung mit der Heimat der Versuch vor, ein Zuhause zu finden. So viel sei verraten, der Ich-Erzähler findet es am Schluss des Bandes.

Harald Darer Schnitzeltragödie
Roman.
Wien: Picus, 2016.
230 S.; geb.
ISBN 978-37117-2032-0.

Rezension vom 18.07.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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