#Roman

Schmerzambulanz

Elena Messner

// Rezension von Angelika Reitzer

Seit knapp zehn Jahren veröffentlicht die Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin Elena Messner Romane, deren gesellschaftspolitischer Anspruch zumeist schon im Titel erkennbar ist. „Das lange Echo“ beschäftigte sich mit Widerstand im Ersten Weltkrieg, aber auch Erinnerung und Kritik am Krieg selbst, „In die Transitzone“ handelte von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in einer südeuropäischen Hafenstadt im Sommer 2015.

Nach einer literarischen Auseinandersetzung mit der Finanzwirtschaft in „Nebelmaschine“ begibt sich die Autorin nun in die „Schmerzambulanz“ bzw. würden einige der Protagonist:innen eine solche eröffnen wollen. In einer Schmerzambulanz sollen chronische Schmerzsyndrome von einem multidisziplinären Team diagnostiziert und therapiert werden. Der Mensch/Patient ganzheitlich im Zentrum stehen, nicht die Krankheit allein, die im zeitgenössischen Klinikbetrieb an die Stelle der zu behandelnden Person getreten ist, diese verdrängt oder ersetzt hat.

Eine solche Schmerzambulanz war der jungen Ärztin Judit Kasparek, einer der erzählenden Hauptfiguren in Messners viertem Roman, bei der Anwerbung im Krankenhaus auch zugesprochen worden.
Bevor eine schon ältere Patientin, die mit Schmerzen eingeliefert, aber eigentlich erst durch die Behandlung im Krankenhaus krank wird, kollabiert, zoomt die Perspektive, begleitet vom globalen Sound der Logistik und Warenverteilung vom pharmazeutischen Werk in China (und den produzierenden Menschenketten) um die halbe Welt, heran bis zur Vene der Patientin, den Zellenketten, die durch die Infusion in einen kritischen Zustand geraten. Aus dem planetaren „Surren“ wird ein innerer, außen nicht vernehmbarer Lärm.
Barbara Steindl bricht zusammen, die Putzkraft wird sie bald danach finden.
Die Ärztin attestiert Fehler in der (eigenen) Behandlung, möchte ein Ethikkonsil abhalten, einen Reflexionsprozess in Gang setzen, um schließlich auf die Einrichtung der versprochenen Schmerzambulanz zu bestehen.

In vierzig Krankenakteinträgen wird der Zustand der Patientin bis zu ihrem Kollaps nachvollzogen. Auch wenn man als medizinische Laiin nur Bruchteile versteht, wird der Verlauf deutlich, die Zahl mag ein Zufall sein, mutet dennoch biblisch an. Drei große Kapitel (Kollaps, Konsil, Klinik) sind in zahlreiche Kurz- und Kürzestkapitel untergliedert, der Ton so nüchtern wie möglich. Aus diesen Berichten sticht ein kurzes Kapitel über die Patientin heraus, das zwar mit „Daten einer Krankenkasse als Existenzbeweis“ überschrieben ist, in dem aber unbeschreibliche Zärtlichkeitsgefühle, ausgiebige Spaziergänge, exzessives Tagebuchschreiben u.v.a.m. die medizinischen Stationen wie Geburt, Entwicklung, Zahnoperationen berührend beleben.

Immer wieder wechselt die auktoriale Perspektive in die erste Person, neben der Ärztin Judit kommen deren Freundin und Kollegin, eine Anästhesistin, sowie der Oberarzt und dessen „freundschaftliche“ Affäre, ein ungelernter „Bettenschieber“, die Leiterin der Pflege, aber auch die Putzkraft zu Wort. Ausführlicher lernt die Leserin noch Jovo kennen, einen Pfleger, der vor der Migration nach Österreich ein Medizinstudium absolviert hat, anfangs noch geheim mit der Ärztin liiert ist und zwischen verschiedenen Stühlen bzw. Zugehörigkeiten steht – nicht nur an ihm und seiner Beziehung zu Judit, sondern auch auf der strukturellen Ebene wird die Krankenhaushierarchie mit ihren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten (nicht immer unbedingt paritätisch) anschaulich miterzählt.
Die Beteiligten werden durch ihren Auftritt beim Ethikkonsil anschaulich charakterisiert, der eine ist zu feige für offenen Zynismus, einer spürt die anderen zu sehr, eine sagt nur das Allernötigste, der andere spricht ausschließlich in Floskeln; und nur Lob für die Kolleg:innen kann auch eine Strategie sein.
Wer steht im Zentrum des behandelnden Ärzte- und Pflegeteams? Die Krankheit oder der kranke Mensch (das Kranksein)? Die Objekthaftigkeit der Patient:innen für die Ärzteschaft wird ebenso zur Rede gebracht wie die Kommunikation aller Beteiligten.

Messner macht deutlich, dass auch die Angestellten im Klinikbetrieb (vergleichbar jenen im Gefängnis/Massnahmenvollzug?) „Gefangene“ des Systems sind. Die Klinik besteht vor allem noch in der Theorie, als Gebäude ist sie Behältnis für Investition, Spekulation und Profit, zumindest Rentabilität. Der Großteil des Funktionalen wurde ausgelagert, obwohl die Bedürfnisse quantitativ und qualitativ stark zugenommen haben. Das Heraustreten aus der Künstlichkeit des Krankenhauses (in dem vor allem die Krankheit wachsen kann) ins helle Tageslicht (Lebendigkeit) ist für den und die Einzelne eine Befreiung. Denn das System, das profitabel sein soll, geht immer zu Lasten seiner einzelnen Teile – der arbeitenden, der kranken Menschen. Elena Messner erzählt klar und erhellend von den komplexen und so unterschiedlichen Zugängen aus Anamnese, Diagnose und Behandlung im durchökonomisierten Krankenhaussystem.

Für die Initiative ergreifende Ärztin sollte das Ehtikkonsil nur der Auftakt sein zu etwas Größerem, auch eine Gefährdungsanzeige, für manche im Spital ein sogenanntes Alarmpapier, steht im Raum, aber sie hat ihre Zuversicht noch nicht vollständig aufgegeben. Schließlich kommt alles anders, die Realität holt auch diese Erzählung ein.
„Jedenfalls wird in Zukunft alles Denken nur noch Denken über die Klinik sein“ lautet eine Aufgabe am Schluss dieses eindrücklichen und konsequenten Romans schön zweideutig, denn sie impliziert wohl, dass alles Denken über die Klinik nur noch Denken sein wird …

Elena Messner Schmerzambulanz
Roman.
Wien: Edition Atelier 2023.
228 S.; geb.
ISBN: 978-3-99065-089-9.

Rezension vom 28.03.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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