#Lyrik

scheiß sozialer frieden

Stefan Schmitzer

// Rezension von Bernhard Oberreither

Wer engagierte Lyrik macht, hat es nicht einfach; sind doch gerade die einladenden Pfade in die Köpfe des Publikums oft ausgetreten. Gesellschaftlicher und künstlerischer Anspruch scheinen sich da oft gegenseitig auszuschließen. Stefan Schmitzer hat das wohl erkannt; bei seinem aktuellen Gedichtband packt er dieses Problem schon im Titel an der Wurzel: scheiß sozialer frieden – da wird gleich die Protesthaltung ausgepackt, genauso wie die gesunde Distanz zu ihr. Dem Politischen entkommt man zwar immer nur scheinbar, diese Ausflüge aber – ins Intime, in die Musik, in die ferne Zukunft – machen das Kraut erst fett.

So sind Schmitzers Texte nicht nur bevölkert von der Bildzeitung, Wirtschaftstreibenden (a.k.a. „arschlöchern“) oder Brigitte Mohnhaupt, sondern auch z. B. von Miles Davis, den Dresden Dolls oder „will ficken. also richtig dringend“. In-der-Schlange-Stehen vor dem Konzert verfließt mit einem resignierten Blick auf Erste-Welt-Mentalität, auch Autobahnfahrten und Technomusik bieten Einfallschneisen in die gesamtgesellschaftliche Psyche. Um so einen beeindruckenden Maßstabssprung zu illustrieren, halte man nur einmal Schmitzers „arbeitswelt“ neben einen Großstadt-Gassenhauer älteren Jahrgangs: „die peristaltik der straßen und gehwege, und dann erinnern, dass die mucke weiterwummert, dann, und dann zur arbeit …“ – im Ohrstöpsel wird aufgehoben, was einst Heyms „Korybantentanz“ gewesen sein mag. Düster und melancholisch sieht’s dort aus, wo der Dichter die Zukunft aufblitzen lässt: „du / erinnerst dich des traums / lenkdrachen fernschreiber tanzschritt- / spuren in der asche auf den autodächern nach dem brand“.

So viel Inbrunst – mit Schmitzers Witz kombiniert, gerät das trotzdem selten in Gefahr, peinlich zu werden: In dem Text etwa, aus dem eben zitierte Postapokalypse stammt, heißt es weiter: „keine angst / wenn das schief geht mit der kunst / dann machen wir / eine kneipe auf …“ So verschwindet mit der großen Geste auch gleich der große Dichter.
An anderer Stelle muss man feststellen: Auch ironisiert kann Pathos noch triefen; gerade das Titelgedicht gemeinsam mit ein paar anderen weist diese Schwäche auf; etwa „feigheit“: „es bleibt feig und wahr zugleich / und es wäre richtig gewesen ne sinn / lose blutige fresse zu kassieren“. Schmitzer ist kein Freund kleiner Effekte; dabei sind oft gerade die unaufdringlicheren Texte aus „scheiß sozialer frieden“ die mit der verlässlicheren Wirkung.
Das Ganze kommt mit eindringlichem Pulsschlag; mit hämmernden bis feinen Wiederholungsstrukturen entfalten die Texte einen rhythmischen Sog. Manchmal wirkt das recht manieriert, andernorts birgt es inhaltliche Höhepunkte: „& auf den presse / fotos deine fresse / ohne / hin / ganz passalbel. // yeah. abel.“ – Vom Reim bleibt hier (wie auch im Nachwort von Clemens Setz angemerkt) nur der zynische Nachhall.

Den zahlreichen Verweisen auf Bands, auf Idole und Ahnen (darunter, stellenweise leicht zu erraten: Ginsberg, Celan) kann man folgen wollen oder nicht; mancherorts ist’s schön, dass die Basics reichen: „didl / didl / dubap“ beispielsweise, für den Genuss von „vita contemplativa“. Und in einem der besten Texte des Bandes, „höhlengleichnis revisited“, braut Schmitzer aus Höhlengleichnis, Odyssee und Benjamins „Engel der Geschichte“ etwas höchst Ergreifendes; ein listiger Odysseus wird da erträumt, der über unseren höchstpersönlichen Schächten herumstreicht – „oder muss man den bildausschnitt drehen, und es sind röhren eigentlich“ –, mit einem „ohr (…), im brausen was zu isolieren und dem zu folgen // wenn einer die ebene durchquerte, auf der das gebraus liegt“ – wer wäre das nicht gerne einmal selbst?

Stefan Schmitzer scheiß sozialer frieden
gedichte.
Graz, Wien: Droschl, 2011.
96 S.; geb.
ISBN 978-3-85420-788-7.

Rezension vom 12.12.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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