#Prosa

Schauplatzwunden

Ludwig Laher

// Rezension von Helmut Sturm

Über zwölf ungewollt verknüpfte Leben.

Vor beinahe 20 Jahren hat Ludwig Laher aus den tausende Seiten umfassenden Originalakten (darunter ein umfangreicher Gerichtsakt aus dem Jahr 1940) über das Arbeitserziehungs-, dann Anhaltelager in Weyer den dokumentarischen Roman „Herzfleischentartung“ geschaffen. Der Roman wurde von der Kritik hoch bewertet und ist literarturdidaktisch (etwa von Markus Benedikt) auch für den Schulunterricht aufbereitet. Die Geschehnisse zeigen beispielhaft die Barbarei in solchen Lagern und die Gewalt gegen Minderheiten. In der „Einbegleitung“ zum hier zu besprechenden Buch Schauplatzwunden schreibt Laher, dass es sich dabei um ein „Komplementärunternehmen“ zu diesem Roman handle, in dem nicht den zugrundeliegenden Strukturen der Unmenschlichkeit, sondern den konkreten Menschen nachgespürt werde.

So sind in dem Band zwölf biographische Skizzen versammelt, die einen Einblick in das Leben von Menschen geben, die der Schauplatz, der NS-Lagerkomplex St. Pantaleon-Weyer, verbindet. Darin werden Opfer und Täter, Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene zusammengeführt, in deren Leben dieser Lagerkomplex eingeschrieben ist. Die Lebensbeschreibungen beruhen wie der Roman „Herzfleischentartung“ auf akribischer Recherche, die Ludwig Laher offensichtlich auch nach der Fertigstellung des Romans noch weiter betrieben hat. Immer wieder finden sich neue Erkenntnisse über die Umstände und die Lebensgeschichten der Akteure. So werden in diesem Erzählband Personen aus dem Roman auch mit den richtigen Namen vorgestellt. Der Autor macht das „aus Respekt vor den Opfern, Leuten wie du und ich, und jenen wenigen, denen die Verfolgten auch in äußerst gefährlichen Zeiten ein echtes Anliegen waren“. So sehr sich Ludwig Laher dabei auch an die Fakten hält, so wenig setzt er daran, sine ira et studio (ohne Zorn und Eifer) zu erscheinen, was angeblich Historiker beachten sollten. Liest man zuletzt immer wieder davon, dass das historische Wissen jüngerer Österreicherinnen und Österreicher laufend geringer wird, erscheinen Bücher wie „Schauplatzwunden“ von besonderer Bedeutung. In englischsprachigen Buchvorstellungen ist es seit einiger Zeit üblich, das Lesepublikum vor besonders drastischen Darstellungen von Gewalt zu warnen. Auch Schauplatzwunden enthält solche Passagen. Sie sind jedoch nicht erfunden, sondern waren reales Leid von Mitmenschen. Damit dieses Leid heute und zukünftig Menschen erspart bleibt, muss eine Haltung überwunden werden, die 1985 eine Zeitzeugin, deren Bauernhof direkt gegenüber dem Lager Weyer situiert war, ausspricht und die Ludwig Laher als Motto dem Erzählband vorangestellt hat: „Was wir da alles mitmachen haben müssen. Ich sag halt immer, die hätten sie irgendwo hintun sollen, wo sie abgeschlossen gewesen wären, nicht? Wo niemand nichts gesehen hätte, wo niemand dieses Leid und dieses Dings gesehen hätte. Irgendwo versteckt. Aber wir haben da alles mitmachen müssen.“

Das selbst verschuldete Greuel ist lange genug versteckt geblieben. Soll es nicht wieder auftauchen, werden wir solche Bücher wie Lahers „Schauplatzwunden“ auch auf die Gefahr hin, sich innerlich angegriffen zu fühlen, lesen müssen.

Ludwig Laher Schauplatzwunden
Prosawerk.
Wien: Czernin, 2020.
191 S.; geb.
ISBN 978-3-7076-0707-9.

Rezension vom 08.10.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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