#Prosa

Schattenspiel

Hermann Jandl

// Rezension von Martin Kubaczek

Hermann Jandl begann um 1970 bei Luchterhand und S-Fischer zu publizieren und legte in Kleinverlagen Theaterstücke, Hörspiele, etliche Lyrik- und Prosabände vor, die sich auszeichnen durch ihre knappe Sprache und Präzision. Schlichte Aussagesätze und Konklusionen lassen eine weitgehend statische Beobachtersituation erkennen, die markiert wird durch einen anonymen Ich-Erzähler oder prototypische personale Erzählfiguren. Die Erzählsituationen zeigen minimale und marginalen Vorgänge, wenn es um die distanzierte und distanzierende Selbstbeobachtung des schreibenden Subjekts geht und seine Erfahrungen mit der Tücke der alltäglichen Trivialität.

Schattenspiel ist eine stark formalisierte Erzählung, die durchwegs in Texteinheiten von sieben Zeilen gearbeitet ist, wobei in die Grundsituation eines Ich-Erzählers sieben autonome kleine Geschichten eingebettet werden. Anfangs wird in oftmals ironischer Melancholie in knappem Protokoll-Stil von Sinnzweifel und Selbstversicherung erzählt, Rückblicke und Vorausschauen wechseln ab mit zaghaften Versuchen veränderter Lebensbedingungen. Selbstbeobachtung zwischen Einsamkeit, Restaurantbesuchen, Begegnungshoffnung und Krankheit beschäftigen sich mit Eigenbefindlichkeiten, Sprichworte und Allgemeinaussagen werden am eigenen Befinden überprüft und entfremden damit die subjektive Wahrnehmung noch mehr vom Cluster der medialen Versatzstücke. Mit Lakonik und Ironie reagiert der Erzähler auf seine Hinfälligkeiten, Hypochondrien und Idiosynkrasien, die wie Rückzüge wirken aus einer fast kindlichen Vertrauensbereitschaft und ihren Enttäuschungen.

Die Absätze sind bausteinhaft, der Text wird aus grammatischen Basissätzen aufgebaut, bis sich die stark dialogorientierten Geschichten herauslösen, Konturen gewinnen, durchgespielt werden; jeweils zeigen sie eine Begegnung von zwei Menschen unterschiedlicher Art bis Unart. Manches wird dabei zugespitzt; so scheitern die Figuren durchwegs in ihren Kommunikationsversuchen, werden vom Erzähler sowohl provokativ wie kritisch in ihrer Hilflosigkeit dargestellt. Diese kurzen Erzählblöcke sind ansatzlos in ein sprachliches Konglomerat aus Schlagzeilen und Meldungen aus Massenmedien und Werbung integriert, was die Isolation der Figuren noch dramatisiert, insofern die teils skurrilen, teils absurden Wissens- und Datenmengen in ihrer völligen Beziehungslosigkeit und Irrelevanz für die eigentliche Not der Individuen nur allzu deutlich werden.

Jandl lässt die Figuren frei drauflos plaudern und sich so sukzessive selbst enttarnen. In der ersten Binnenerzählung etwa outet sich die Reiseleiterin einer Werbefahrt auf Mallorca, zunehmend wird hinter der aggressiven Haltung Erschöpfung und persönliches Dilemma sichtbar. In der nächsten Szene spricht ein Hans eine ihm unbekannte Beate an, Jandl lässt die Phasen einer Beziehung wie im Zeitraffer vorübergehen, innerhalb von zwei, drei Seiten kippen die Gefühle von Öffnung und Glück in Gleichgültigkeit und Mißachtung und ergeben so einen Kürzestroman vom Drama der Liebe.

Es folgt die Geschichte einer Männerfreundschaft zwischen einem alten Künstler und einem Komponisten, beim regelmäßigen gemeinsamen Schachspielen und Trinken erklärt der eine dem anderen, dass doch der Freitod kein Problem sei und lässt ihn, als es ihm offenbar gefährlich ernst wird, allein. Es folgt ein Autofahrt-Dialog inklusive serieller Geschwindigkeits-Ziffernmontage und witzigem Schlusseffekt, zwischen Macho-Mann und seiner zaghaften Freundin, die auf einen Waldspaziergang hofft; das nächste Paar aber durchwandert die Uffizien in Florenz, zwischen Bilderinnerungen und der Schlaflosigkeit im Hotelzimmer, in das von außen penetranter Geruch dringt, verliert sich der Mann in peinigenden Vorstellungen der berühmten Bilderwelten; und zuletzt der längste und extremste Abschnitt mit einer erschreckenden pathologischen Studie in Gewalt und Isolation, eine Entführungsgeschichte mit polizeilicher Einvernahme, die ausschließt, dass der impotente und hörige schwule Mann die junge Frau tatsächlich gefangen, gefoltert und ermordet hat, wie es im Text aus der Figurenperspektive allerdings erscheint.

In der Ausgangssituation dieses Buches heißt es durchaus kokett: „Manche Leute meinen, es würde mir an Stoff mangeln. Was soll ich denn sonst schreiben? Ich erlebe nichts.“ (S. 10) Die Vielfalt der eingebetteten kleinen Erzählungen beweist ein Gegenteil, und es überrascht die Mischung aus traditionellen Formen mit so gelassen wie souverän angewandten Montageverfahren. So mild wie wild, aber harmlos ist dieser Erzähler keinesfalls, er bleibt nicht stehen bei melancholischen Alterswahrnehmungen, Doktorbesuchen und Zurücksetzungsgefühlen oder dem betont Spießigen mancher Figuren, sondern geht der Einsamkeit und gegenseitiger Verständnislosigkeit selbst im Moment der Liebe nach. Das zeichnet den Grundton einer Tragik, auf deren Basis sich durchaus witzige Momente entwickeln, ohne je etwas ins Komische entgleiten zu lassen.

Gewissermaßen als Bonus-Track nachgereicht wird ein Text mit dem Titel „Hörbild Samstag“, in dem durchgehend drei Sprachebenen oder Diskurse gegeneinander geschnitten sind und völlig unverbunden nochmals vorführen, wie gelassen dieser Autor die Techniken anzuwenden versteht, mit denen die Wiener Gruppe einst Furore machte. Mit Hermann Jandl ist ein Autor zu entdecken, der als der weniger vehemente sein Leben lang im Schatten des mit gutem Grund berühmten älteren Bruders stand: nicht unvertraut sind auch ihm Exaltation, Ironie, Hypochondrie und pfeffrige Lust an der Bosheit.

Hermann Jandl Schattenspiel
Erzählung.
Weißenkirchen/Wachau: Österreichisches Literaturforum, 2006.
120 S.; brosch.
ISBN 3-900860-30-0.

Rezension vom 16.07.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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