Zwei Frauen sitzen in einem schäbig gewordenen einstigen Bohème-Restaurant im aufgelassenen Jachthafen von Sydney, zwei säkularisierte Jüdinnen, deren Eltern bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts nach Australien ausgewandert sind, sodass sie vom nationalsozialistischen Inferno in Europa nur am Rande gestreift wurden.
Sie sind beide alt.
Da beginnt die eine, Florence Goldin, einen rasenden Monolog über ihre unglückliche Liebe zu Collin Lamont, dem längst verstorbenen Mann der anderen. Mit ungestillter und unstillbarer Sehnsucht beschwört sie ihre lebenslange unerwiderte Liebe. Das Objekt ihres Begehrens bleibt jedoch ein gestaltloser Schemen im Zwielicht. Florence versteigt sich in einen alles verzehrenden Liebeswahn, sie duldet nichts Geringeres als die absolute Liebe, die, wie in den Klassikern nachzulesen ist, immer eine unmögliche Liebe ist. Daher wischt sie die kurze Affäre mit ihrem engsten Freund Felix als „unnötige Pause der Sehnsucht“ vom Tisch, den Tod ihres alten Vertrauten Václav nimmt sie tränenlos zur Kenntnis, selbst Collin Lamont steht ihrem Ideal von Liebe im Weg, als er nach Jahren unvermittelt und schwer alkoholkrank vor ihr steht. Sie schickt ihn weg.
Florence Goldins Gegenüber, Kasha Markovski, ist in ihrer Unvollkommenheit und Charakterschwäche die sympathischere Figur. Aber auch an ihr nagt großes Leid. Nachdem Florence ihren Monolog zu Ende gebracht hat, ist nun sie an der Reihe, ihre Wunde zu öffnen – ihre Schatten. Kasha Markovski erzählt, wie sehr sie immer darunter gelitten hat, zwanghaft dem stärkeren Willen folgen zu müssen. Immer habe sie sich danach gesehnt, wie Florence Goldin dem eigenen Weg zu folgen.
Robert Schneider hat mit seinem Porträt einer alten, in Liebe entbrannten Frau einen Tabubruch begangen, der großes literarisches Potenzial in sich birgt. Es ist schade, dass er seine Idee nur zur Hälfte ausgeführt hat. Der Autor schildert zwar die Falten in Florence Goldins Gesicht, doch ihr Wesen bleibt von den Jahren so gut wie unberührt. Ihr Monolog könnte auch von einer modernen Julia, einer gut geschulten jungen Psychoanalytikerin zum Beispiel, gehalten werden, die sich vor ihrem Liebeswahn mit Freudscher Grandezza verbeugt und mit geschliffen messerscharfer Argumentation von ihren gescheiterten Selbstmordversuchen spricht.
Robert Schneider mag vielleicht die Chance verspielt haben, tatsächlich eine literarische Sensation zu liefern, er bringt den Leser der Schatten jedoch mühelos dazu, sich an den Nebentisch des spärlich besetzten Lokals auf der anderen Seite der Weltkugel zu setzen, um den Geschichten der beiden Frauen anzuhören und erst am Schluss aufzustehen, um spätnachts nach Hause zu gehen.