#Roman

Schatten aus Stein

Andreas Pittler

// Rezension von Sabine Schuster

Ein Fall für Paul Zedlnitzky.

Wien 1986, ein Zahnarzt wird ermordet. Der Kriminalbeamte Zedlnitzky übernimmt den Fall, der mehr als verworren ist. Niemand aus dem privaten Umfeld des Ermordeten scheint ein Motiv zu haben.
Zedlnitzky konzentriert sich daher auf die Patientenkartei. Wobei seine Aufmerksamkeit immer wieder nachhaltig gestört wird. Da ist einerseits sein Vater, ein strammer Sozialist, der sich über den Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim mokiert, und da ist andererseits diese Sache in Tschernobyl, von der man nicht so recht weiß, ob sie nun Gefahr bedeutet oder nicht. Endlich hat Zedlnitzky eine erste Spur: Sie führt in die Vergangenheit, zurück in die Zeit der NS-Verbrechen.

Von 1945 bis ins Jahr 1986 erstrecken sich die Geschehnisse in Andreas Pittlers neuem Roman, der einerseits ein Krimi, andererseits eine unterhaltsame Lektion in österreichischer Geschichte ist: Ein SS-Massaker in der Strafanstalt Stein zur Zeit der Nazi-Kapitulation wirft lange Schatten bis ins Wien der 1980er Jahre, wo der politisch belastete Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten gewählt wird, die Atom-Katastrophe in Tschernobyl für Unruhe sorgt und ein rätselhafter Mord an einem alten Wiener Zahnarzt aufzuklären ist.

Der Autor Andreas Pittler wechselt beim Erzählen geschickt zwischen Täter- und Ermittlerperspektive und führt die beiden Stränge sprachlich opulent und in gemächlichem Tempo zusammen. Nicht nur der Kriminalfall bleibt dabei bis zum Schluss spannend, auch die historischen Informationen zum erwähnten Massaker in Stein, die der junge, noch recht unbedarfte Kriminalbeamte Paul Zedlnitzky bei einem Zeitzeugen und in bekannten Wiener Institutionen wie dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes oder dem Simon Wiesenthal Institut zusammenträgt, dürften nicht allzu vielen LeserInnen im Detail bekannt sein. Auch die Stimmung am 29. April 1986, als europäische Medien erstmals von einem AKW-Unfall irgendwo jenseits des Eisernen Vorhanges berichteten, „irgendetwas mit Tscherno am Anfang“, haben nur reifere LeserInnen in ihrer persönlichen Erinnerung. Die schleichende Verunsicherung, die wenigen Informationen, das Beschwichtigen – alles erinnert frappant an die erste Phase der aktuellen Corona-Krise und wird in Pittlers Roman mit einer herrlichen Beschreibung des traditionellen Wiener Mai-Aufmarsches verknüpft, über dem im Jahr 1986 nicht nur eine atomare Wolke, sondern – im Jahr 3 nach der Ära Kreisky – auch das Ende der goldenen Zeiten der Sozialdemokratie schwebt.

Trotz seiner Verankerung in der Nazi-Zeit ist „Schatten aus Stein“ ein Roman, der sich (auch) vergnüglich liest und mit seinem ausgeprägten Wiener Schmäh immer wieder Kottan die Reverenz erweist. Sogar eine explizite kleine Abhandlung über diese Kultserie findet sich im Text – dafür muss Zeit sein zwischen Ermittlungsarbeit, Familienleben und zahllosen Stopps bei Käsekrainern, Bier und Zigaretten der Marke „Smart Export“.

Der 1964 geborene Andreas Pittler ist ein höchst produktiver Autor, 1985 erschien sein erstes Buch, dem bis jetzt 57! weitere folgten. Anfangs schrieb der studierte Historiker und Politikwissenschaftler vorwiegend Sachbücher, seit der Jahrtausendwende Romane und Krimis wie etwa die bekannte David-Bronstein-Serie, an die er nun mit dem jungen, lebenslustigen Kommissar Zedlnitzky in vielerlei Hinsicht anknüpft.
Meine Leseempfehlung ist dementsprechend einfach: Wer Bronstein mochte, wird auch Zedlnitzky lieben.

Andreas Pittler Schatten aus Stein
Kriminalroman.
Wien: ueberreuter, 2020.
240 S.; brosch.
ISBN 978-3-8000-8002-1.

Rezension vom 09.04.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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