#Lyrik

Sagt die Dame

Daniela Chana

// Rezension von Marcus Neuert

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gab es in der deutschsprachigen Lyrik etwas, das man „Neue Subjektivität“ oder auch „Lyrik für Leser“ nannte. Es gab Gedichte, die man glaubte aufs erste Lesen verstanden zu haben, die mit den ausufernden Verkopfungen der metaphern- und chiffregesättigten lyrischen Hervorbringungen der vorangegangenen Jahrzehnte aufräumten.

Die besseren unter ihnen biederten sich freilich nicht an, bewahrten sich bei aller Zugänglichkeit eine gewisse Widerständigkeit des Ausdrucks, des Blickwinkels. Wer diese Verse damals fasziniert wahrnahm, entdeckt in der Lyrikproduktion unserer Tage immer wieder einmal Reminiszenzen an diese Zeit und ist versucht, anhand von etwas, das lang vorbei scheint, auf Spurensuche zu gehen.
Mit Daniela Chanas Gedichten könnte es, freilich nur aufs erste Anlesen, so geschehen. Chana, 1985 in Wien und damit ein Jahrzehnt nach dem Innerlichkeits-Gedichteboom überhaupt erst geboren, der in der österreichischen Lyrik ohnehin nie ganz den Widerhall fand, den er in (West-)Deutschland hatte, nimmt ihre Leserschaft hinein in ganz alltägliche Ausgangssituationen, die explizit aus dem Blickwinkel des lyrischen Ich beleuchtet werden. Davon legt schon der sprechende Titel des Bandes Zeugnis ab: „Sagt die Dame“, soeben bei Limbus erschienen, ist der erste eigene Gedichtband von Daniela Chana, die freilich seit Jahren in Literaturzeitschriften und Anthologien, in Print und Netz mit ihren Werken präsent ist. Chana hat in Vergleichenden Literaturwissenschaften promoviert und u.a. an der Universität Salzburg über moderne Lyrik gelehrt. Sie kennt also die Strömungen, die vielfältigen Einflüsse aus dem In- und Ausland über Sprachgrenzen hinweg auf das lyrische Schreiben von heute genauestens und fühlt sich nicht zuletzt den amerikanischen Singer-/Songwriterinnen und den Exponentinnen der „confessional poetry“ verbunden, jener Strömung, die stark autobiografisch geprägt ist und oftmals auf sehr intime Weise auktoriales und lyrisches Ich nahezu zur Deckungsgleiche zu bringen behauptet.
Das schlägt sich in ihren eigenen Texten nieder. Dennoch entsteht zu keiner Zeit der Eindruck plumper Vertraulichkeit. Chana vermag im Gegenteil eine ironisierende Distanz zum eigenen Ich geradezu zum Thema ihrer Gedichte zu machen – wobei die Haltung zu sich selbst nahe beim lyrischen Ich bleibt, auch wenn es manchmal zu einem „Du“ oder gar einem „Sie“ der dritten Person mutiert. Was also sagt die Dame?

„[…] Frauen wie du gehen mit lackierten Nägeln / In schönen Kleidern durch einen Zoo / Alles geht weiter, obwohl nie etwas funktioniert / Gönnst dir ein Eis und einen Sekt / Und sogar ein Lächeln / Tippst mit dem Finger an das Aquarium / Frauen wie du löschen lässig / SMS, in denen Männer mit ihnen Schluss gemacht haben / Und du gehst weiter, obwohl nie etwas funktioniert, durch einen Zoo“

Wiederkehrende Sujets sind (Nicht-)Liebe und (Nicht-)Beziehung, das Sich-(Nicht-)Zurechtfinden im Alltäglichen, die (Nicht-)Einsamkeit, das (Nicht-)Schreiben sowie im weitesten Sinne eine reflektierende Beschäftigung mit dem universitären Milieu als solchem. Aus der Tatsache, dass die benannten Themenkreise immer gleichzeitig auch als ihr Gegenteil inszeniert werden, lässt sich eine spezifische Wirkungsweise der Gedichte Daniela Chanas ablesen. Sie erscheinen der Leserschaft vielleicht so wie behutsam bearbeitete Fotografien, wobei erst auf den zweiten Blick auffällt, dass die vorgenommenen vermeintlichen Retuschen viel mehr sind als bloße ästhetisch motivierte Korrekturen, sondern Elemente des Einbrechens anderer Wirklichkeitsebenen abbilden. Spätestens jetzt tritt klar hervor, worin sich Chanas Verse entschieden vom anfangs zitierten Habitus der „Neuen Subjektivität“ der 1970er Jahre abheben: diese zweiten und dritten Wirk- und Wirklichkeitsebenen geben nämlich sehr wohl Geheimnisse auf, märchenhafte Rätsel und Traumsequenzen, die in vielfältiger Weise auf das reale Erleben zurückstrahlen. Wie selbstverständlich, geradezu mit pedantischer Genauigkeit festgelegt, bricht in den Alltag ein surreales Moment ein:

„[…] Jeden dritten Tag / Zwischen acht und fünfzehn Uhr / Außer an Feiertagen / Geht ein Leopard mit mir spazieren / Er führt mich an der Leine / Verschämt durch den Bezirk / Vorbei am Würstelstand / Um den Parkplatz herum […]“

Diese Phänomene stehen nicht für sich, sie führen zu konkreten Deutungen durch das lyrische Ich, welches es dem Leoparden hoch anrechnet, „Dass er mit mir spazieren geht / Er holt mich aus meiner Einsamkeit“. Stets folgt dem außergewöhnlichen Einbruch eine – freilich wiederum nur scheinbare – Einordnung in die Realität nach, wie etwa bei der Vampirin, die „immer Sonnenauf- und Untergang [verwechselt]“ und über die die Büromenschen an der Jalousie dann in ihrer Mittagspause sprechen, „Weil man sowas nicht jeden Tag sieht“. So entwickeln viele dieser Verse eine Skurrilität und Spielfreude, die der Alltagslyrik der 1970er Jahre fast vollkommen abgeht.

Divergierende Emotionen liegen durch die Unverstelltheit der Sprache Daniela Chanas oft eng beieinander. Dieser traurigfrohe Grundton lässt denn auch offen, ob das zarte und verletzliche lyrische Ich, welches sich da in schüchterner Selbstbewusstheit (wieder so ein charakteristisch zusammenwirkendes Gegensatzpaar) äußert, sich denn tatsächlich einsam fühlt oder sein Alleine-Sein auch als positiv empfinden kann:

„[…] Denn meine Finger auf deiner Hand / Oder allein mein Lächeln ist schon zu viel / Wir bleiben für immer, du und ich / Schwebend / Unwirksam verlobt“

Diese empfundene raffinierte Uneindeutigkeit, selbst wenn das Ich gleichsam wie ein unzuverlässiger Erzähler vermeintliche Eindeutigkeit behauptet, macht nicht wenige Gedichte von Daniela Chana zu echten Solitären. Wie sehr jedes einzelne Gedicht für sich steht und dennoch seinen Platz im Gesamtarrangement hat, wird auch durch die Tatsache offenbar, dass es weder ein Inhaltsverzeichnis noch eine Einteilung in Kapitel oder ähnliches gibt. Dennoch folgt die Zusammenstellung einem inneren Motivstrang, an welchem die Texte sich wie Perlen auf einer Schnur entlang reihen und weder auffällige lautliche noch formale Besonderheiten benötigen, um zu wirken. Bei aller traum- und zauberhaften Fantasie erscheint die Lyrik Chanas durchaus geerdet und völlig unprätentiös und kehrt von gelegentlichen allgemeinen Erkenntnissen oft wieder in die Sphäre des Privaten zurück:

„[…] Die Geschichte vergisst das Triviale / Obwohl dieses uns die Welt erklärt / Und weil wir einmal Hand in Hand in einem Museum / An Schiffen vorbeigegangen sind“

Wenn Daniela Chana über das Schreiben schreibt, geht sie mitunter auch den umgekehrten Weg und kommt etwa von ihrem persönlichen Bild der Literaturszene als Pferderennen auf eine quasi eingedampfte lyrische Programmatik:

„[…] Ich fing ein Pferd und versuchte, es zu zähmen / Als ich aufgab, benannte ich es / Und es war ein Gedicht“

Diese Texte verströmen etwas Begeisterndes, etwas zutiefst Feminines in ihrer unaufdringlichen Klugheit und Empathie, gleichzeitig in ihrer trotzigen Streitbarkeit, die durch die zarten Formulierungen hindurch scheint. Und wenn sich die Lyrikerin dann auf einer der hinteren Seiten sogar direkt an die (wohlbemerkt Herren) Kritiker wendet und postuliert, „die Fantasie von mir / Die aus meinen Zeilen eine Hand Ihnen gibt / Hatten Sie auch vorher schon“ und das Gedicht mit der Aufforderung schließt „Richten Sie den Lauf nicht auf mich“, ist man als männlicher Rezensent wohl ohnehin eher geneigt sich selbst in den Fuß zu schießen als dieses Ansinnen auszuschlagen.

Daniela Chana Sagt die Dame
Gedichte.
Innsbruck: Limbus, 2018.
96 S.; geb.
ISBN 978-3-99039-134-1.

Rezension vom 13.11.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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