#Roman

Sag Alex, er soll nicht auf mich warten

Irene Diwiak

// Rezension von Sebastian Fasthuber

In ihrem neuen Roman Sag Alex, er soll nicht auf mich warten erzählt Irene Diwiak von der studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose. Es handelt sich um eine weithin bekannte Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus, die auch literarisch mehrfach verarbeitet worden ist. Diwiak bereitet sie jedoch unter verändertem Blickwinkel auf – für eine neue Generation von Leserinnen und Lesern, wie vermutet werden darf.

Bei ihr steht nicht so sehr Sophie Scholl im Mittelpunkt – wiewohl sie eine wichtige Nebenfigur im Buch ist –, sondern zwei andere Mitglieder der Weißen Rose: ihr Bruder Hans Scholl und Alexander Schmorell. Und wiewohl der Roman mit dem Ende der Gruppe und den Hinrichtungen der Mitglieder beginnt, fokussiert er doch auf die weniger bekannten Anfänge und die Jahre 1941 und 1942.

Diwiak schildert die Geschichte zunächst als jene der Freundschaft zwischen zwei jungen Männern. Sie erzählt von Menschen um die 20, die ihr Leben eigentlich noch vor sich haben, die sich gerade suchen und selbst erfinden, Beziehungen eingehen, studieren, sich mannigfaltig ausprobieren. Freilich geschieht all das hier in einer ganz besonderen Situation, und zwar vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Hans und Alexander stimmen überein: Man muss was tun gegen Hitler.
Davon abgesehen führen sie, soweit man dies für die damalige Zeit überhaupt sagen kann, ganz normale Leben und machen alterstypische Erfahrungen zwischen erster Liebe, Alkohol und Studienfrust. Diwiak holt die Protagonisten der Weißen Rose damit herab von ihren Podesten als Helden und Märtyrer und macht sie zu Menschen.

Ein guter Ansatz, denn damit sind sie einem bei der Lektüre näher. Mit einem Zitat von Elisabeth Hartnagel gesprochen, einer weiteren Scholl-Schwester, die 2020 verstarb: „Wenn sie als Helden betrachtet werden, dann ist das eine Entschuldigung für die anderen. Jeder kann dann sagen, zum Helden bin ich nicht geboren.“ Nahe kommen einem der Stoff und die geschilderte Zeit auch durch die Wahl des Präsens als Erzählzeit.

Ungewöhnlich ist, dass Irene Diwiak selbst das Nachwort zum Buch verfasst hat. So als bräuchte es eine Rechtfertigung, warum sie diesen Roman und warum sie ihn so geschrieben hat. Diese würde es gar nicht benötigen, spricht der Text doch für sich. Nichtsdestotrotz ist es natürlich legitim, wenn sich die Autorin am Ende erklärt. Sie sei gewarnt worden, schreibt sie. „Es ist doch schon alles darüber gesagt, mittlerweile völlig uninteressant, das ist doch nur Märtyrerkitsch. Aber: Widerstandsgeschichten sind Geschichten der Hoffnung. (…) Und Hoffnung ist kein Kitsch und keine Wohlfühlzone.“
Von Kitsch hält sich der Roman dankenswerterweise fern. Neben der Freundschaftsgeschichte zeichnet er nach, wie die Weiße Rose entstanden ist. Es beginnt mit Zusammenkünften und nächtelangen Gesprächen über Philosophie, Kunst und Freiheit. Daraus erwächst langsam der Wille, aktiv Widerstand zu leisen. Hans schreibt für erste Flugblätter seine Gedanken nieder. Zunächst handelt es sich noch um kleine philosophische Abhandlungen, doch mit der Zeit werden die Worte klarer, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Es zeigt sich, dass die Weiße Rose eine sehr vielschichtige Gruppe ohne feste Ideologie war. Jeder und jede dachte ein wenig anders, konnte sich angesichts des gemeinsamen Feindes aber auf gewisse Positionen einigen. Sag Alex, er soll nicht auf mich warten zeichnet kein Schwarz-Weiß-Bild, es überzeugt mit interessanten Schattierungen. Die Figuren sind vielschichtig gestaltet, in manchen Punkten dürfen sie auch widersprüchlich sprechen, denken und agieren. Hans Scholl war als Jugendlicher anfangs sogar durchaus empfänglich für die Hitlerei gewesen.
Es sind mittlerweile nur noch sehr wenige Zeitzeugen am Leben. Insofern werden es bald Romane wie dieser sein, die das Gedenken an  Widerstandsbewegungen im Nationalsozialismus wach halten werden. Irene Diwiak hat eine gute Mischung aus historisch Verbürgtem und kleinen fiktionalen Freiheiten, solider Recherche und emotional bewegenden Passagen gefunden. Schullektüre von morgen? Das ist, um im Wortlaut des Nachworts zu bleiben, durchaus zu hoffen.

Irene Diwiak Sag Alex, er soll nicht auf mich warten
Roman.
München: C. Bertelsmann, 2023.
368 S.; geb.
ISBN 978-3-570-10468-2.

Rezension vom 29.06.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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