#Lyrik

Sänger im Bad

Gerhard Ruiss

// Rezension von Helmuth Schönauer

Manche Gedichte brauchen eine ergreifende Situation, um ihre volle Wirkung aufbauen zu können. Davon ausgehend, dass der Kontext die Botschaft des Textes unterstützt, zurückdrängt oder konterkariert, kommt der Gedichtsituation eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Eine geradezu klassische Gedichtsituation finden Sänger im Bad vor, eine leicht dampfende und vernebelte Umgebung, einen herausragenden Gefühlszustand und die Illusion von Intimität. Im Laufe der Lektüre stellt sich die Erkenntnis ein, daß diese Sängersituation durchaus politisch gedeutet werden kann. Mit der Versatz- und Austauschprobe lassen sich Begriffe aus der Badeszenerie eins zu eins auf Österreich übertragen, und es entsteht eine recht amüsant zu lesende politische Argumentationskette.

In einer kleinen Einbegleitung erläutert Gerhard Ruiss sein lyrisches Programm und formuliert bewußt in einem „fast-ex-kathedra“-Stil, was eine strenge und zugleich ironische Aura erzeugt. Die Texte im Hauptteil können als Partituren für Sänger im Bad gelesen werden, als Stoffsammlung eines pedantischen Sammlers von geheimem Liedgut, als Parolenfibel oder lyrische Kommentare zu einem abhanden gekommenen politischen Meta-Gebilde.

Die Texte, fein aufgefädelt wie in der Gitarrenpartitur die Griffe an der Notenschrift, unterwerfen sich der alphabetischen Ordnung. Dieser Mix aus Ordnung in den Überschriften und disparaten Auslegungen von mehrdeutigen Themen führt zu einer recht luftig wirkenden Verkettung von Kausalitäten. Die Überschriften ergeben, fortlaufend gelesen, einen sehr schräg angelegten Übersinn. „Jeder situation gewachsen – jungfräulich – krabbler – kopulierend – kritische intelligenz – kreatives tun – kurzer aufenthalt – lebenslanges lernen“ (S. 63-68) lautet so eine Head-Kette und ergibt für sich genommen schon wieder ein Gedicht.

Auf die Ordnung des Hauptblockes folgt die Unordnung der Skizzen. Allein schon der Titel „sieben oder neunzehn Skizzen“ läßt jede Menge Auslegungen zu. Die Skizzen sind offensichtlich so amorph, daß sie nicht einmal der Autor richtig zählen kann und handeln, soweit sie überhaupt das Ausmaß von Handlungen erreichen, vom Anglerglück, von Formaten, Porträts oder Stadt-Land.

„Ende mit Szenen“ heißt das Schlußkapitel, in dem dramatische Entwürfe vorgestellt werden. Die Dialoge sind so aufgebaut, daß sie dem Ausdruck „eine Szene machen“ immer gerecht werden, die Figuren pudeln sich über alle Maße auf und verdrängen dabei fast den sogenannten Dialog.

Gerhard Ruiss‘ Sänger im Bad sind eine ironische Abrechnung mit den großen Genres Epik-Lyrik-Dramatik. Der Autor hat die Texte als interaktive Gesangskapseln ausgelegt, die überall los gehen können, natürlich auch im eigenen Bad.

Sänger im Bad.
Neue Gedichte, Skizzen, Szenen.
Wien: edition selene, 2001.
248 Seiten, broschiert.
ISBN 3-85266-167-6.

Rezension vom 10.06.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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