#Lyrik

Sämtliche Werke

Georg Trakl

// Rezension von Helmuth Schönauer

Seltene Bücher müssen auch mit seltenen Maßstäben gemessen werden. Denn obwohl jeder einzelne Band der Trakl-Ausgabe in Ausstattung, Format und Gewicht einem Laptop entspricht, sind es genau die Gegenteile der Eigenschaften eines Laptops, nämlich die Langsamkeit, Verläßlichkiet und Innigkeit, die den Lesern bestechen und sofort auf die „Trakl-Seite“ ziehen. Georg Trakl, dem vielleicht farbigsten Lyriker des Jahrhunderts, kann man eben nur mit einer „Jahrhundertausgabe“ halbwegs gerecht werden.

Vielleicht findet Georg Trakl erst durch diese Ausgabe bei den Nachgeborenen jene Aufmerksamkeit, die ihm gebührt, denn Herausgeber, Redaktion und Verlag haben alles getan, um eine Gesamtausgabe vorzulegen, die auch alle Sinnesorgane des Lesers anspricht.

Hermann Zwerschina, der die Trakl-Ausgabe schon seit Jahren mit vorbereitet, vergleicht den vorhandenen Textkorpus durchaus mit dem modernen Begriff einer „lyrischen Festplatte“, auf die es verschiedene Zugriffsmöglichkeiten gibt. Das Bestreben der Herausgeber ist es, ohne Digitalisierung allein mit Beschreibungen der einzelnen Blätter sowohl den chronologischen Ablauf beim Verfassen der Texte als auch den Schwerpunkt der jeweiligen Fassung zu dokumentieren.

Für den Leser ist es faszinierend, wie ein scheinbar sakrosanktes Gedicht entrollt wird, indem die Vorstudien, die Anfänge und Streichungen aufeinander und hintereinander gezeigt werden. Die Darstellungen haben oft Partitur-Charakter, aus denen man den vollen Klang der Lyrik, aber auch den einzelnen Auftritt ihrer Elemente ablesen kann.

Die bekanntesten Texte aus dem Band Sommer 1912 – Frühjahr 1913 sind vielleicht Psalm, Verklärter Herbst, Melancholie oder Im Park.

Zu jedem Trakl-Text gibt es eine Lesebegleitung in den Kategorien: Entstehungsgeschichte, Überlieferung, textgenetischer Überblick, Einzelstellen-Erläuterungen, Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, Faksimile und diplomatische Umschrift.

Bei diesem Zusatzangebot an Informationen kann die Dichtung erst das volle Cinemascope-Format im Leser entfalten, denn die Begleitinformationen sind immer als freiwillige Leistung gedacht und nie als dogmatischer Untergriff während der Lektüre.

Die geläufigsten Texte des Bandes Sommer 1913 – Herbst 1913 sind schließlich Der Herbst des Einsamen, Sebastian im Traum, Kaspar Hausers Lied oder Verklärung.

Im manchmal sehr schnellen Literaturbetrieb fällt diese gewichtige und scheinbar zeitlose Trakl-Ausgabe wohltuend auf, und Lesern und Herausgebern ist klar, daß so eine sorgfältige Ausgabe rein aus irdischen Zeit- und Geldgründen nicht jedem Schriftsteller zuteil werden kann.

Und da ein Kunstwerk keine Geschwindigkeit kennt, läßt sich bei dieser Trakl-Ausgabe auch kein endgültiges Urteil über die Lesedauer abgeben. Gerüchtehalber sollen manche schon ein halbes Leben lang an Trakl lesen, was bei dieser Ausgabe kein Wunder ist.

Dichtungen Sommer 1912 – Frühjahr 1913.
Band II.
Innsbrucker Ausgabe.
Herausgegeben von Hermann Zwerschina in Zusammenarbeit mit Eberhard Sauermann.
Faksimiles.
Basel, Frankfurt am Main: Stroemfeld / Roter Stern, 1997.
520 Seiten, gebunden.
ISBN 3-87877-513-X.

 

Dichtungen Sommer 1913 – Herbst 1913.
Band III.
Innsbrucker Ausgabe.
Herausgegeben von Eberhard Sauermann in Zusammenarbeit mit Hermann Zwerschina.
Faksimiles.
Basel, Frankfurt am Main: Stroemfeld / Roter Stern, 1998.
475 Seiten, gebunden.
ISBN 3-87877-515-6.

Rezension vom 28.12.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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