#Roman
#Prosa

Verpuppt / Wechselkröte

Ana Marwan

// Rezension von Janko Ferk

Das literarische Leben der zweisprachigen Schriftstellerin Ana Marwan war in den letzten Monaten mehr als turbulent. Im Jahr 2022 wurden ihr zwei angesehene Preise zugesprochen, zunächst in Slowenien eine Auszeichnung für das „Beste Buch des Jahres 2021“ und vor dem Sommer 2022 in Klagenfurt/Celovec der Ingeborg Bachmann-Preis. Ana Marwan ist – das darf man, wenn man sich mit beiden Literaturen gleichermaßen befasst, konstatieren – die einzige Schriftstellerin, die derzeit in der deutsch- und slowenischsprachigen Schreibkultur reüssiert.

Damit nicht genug, der alteingesessene und honorige Otto Müller Verlag in Salzburg promoviert sie in bester Weise. Einerseits hat er in kurzer Abfolge zwei Bücher der ausgezeichneten Autorin verlegt und andererseits hat er ihr die verlagseigene Zeitschrift „Literatur und Kritik“, die von keinem Geringeren als Karl-Markus Gauß an die Spitze der deutschsprachigen Literaturzeitschriften geführt wurde, als Herausgeberin und alleinige Chefredakteurin anvertraut. Aus meiner, das heißt, persönlichen Sicht, auch als langjähriger „Literatur und Kritik“-Autor, ein immenser und nicht zu unterschätzender Vertrauensvorschuss für eine junge österreichische Autorin.

Eine Autorin, die schreiben kann, wie sie nach der Bachmannpreisprosa in ihrem zweiten Roman Verpuppt beweist. Die Heldin, die aber eher eine traurige ist, heißt Rita. Sie versucht, das Chaos ihrer Welt mit Schreiben zu ordnen. Sie verfasst Geschichten, formt Wahrheiten nach ihrer Façon und erfindet sich einen Gefährten namens Ivo Jež. Am Rand wird auch seine Ehefrau, die erfolgreiche Staatsanwältin Agata Jež erwähnt. Der slowenische Familienname ist bezeichnend und muss für den deutschsprachigen Leser übersetzt werden, er lautet Igel, was man durchaus in übertragener Form verstehen darf.

Damit nicht genug. Sie wähnt sich im Ministerium für Verkehr tätig, und zwar in der Abteilung Raumfahrt. Marwan literarisiert die Geschichte geschickt. Am Anfang der Lektüre hat man noch keine Zweifel, doch mit jeder weiteren Seite wird deutlicher, dass sich Rita in einer Anstalt befindet und therapiert wird. Ihr »Igel« Ivo ist weder ein Kollege noch ein Mitpatient. Die Andeutungen und vor allem Indizien verdichten sich immer mehr zur Tatsache, dass Rita krank ist und geheilt werden soll. Und die Indizien lauten beispielsweise folgend: »Sie sagte, wir gehen ins Theater, wenn ich rauskomme.« (S. 130.) Oder: »Ich bekomme keine Zeitungen, ich habe kein Radio. Mein Handy wurde mir weggenommen.« (S. 156.) Die Schreibe ist von »Besuchszeit« und »Visite«, aber zu diesem Zeitpunkt hat Rita bereits zum Schreiben aufgehört und ist »reif für draußen« (S. 217), womit Ana Marwan klipp und klar offen legt, dass ihr ausgeklügeltes Spiel die Patientin einer Psychiatrie betrifft.

Ana Marwan ist eine facettenreiche Schriftstellerin. Sie kann Alltäglichkeiten derartig schildern, dass noch die Empfehlung eines Buchhändlers zum Abenteuer wird. Sie trifft ungewöhnliche Schlussfolgerungen und erstaunt den Leser. Neben dem literarischen Talent und Können wird die umfassende Bildung der dreiundvierzigjährigen Literaturwissenschaftlerin offenbar. Der Text erfordert aufmerksames Lesen, er ist inhaltlich sehr satt. Er ist das Psychogramm einer sensiblen Frau, die sich in ihre Welt zurückzieht, die sich mit und in ihrer Sprache »verpuppt«.

An einer Stelle heißt es: »Er zieht seine Geschichten in die Länge, schleicht um die Pointe herum wie eine Katze um den heißen Brei und wiederholt das Ganze noch als Zugabe.« (S. 171.) Über Ana Marwan kann man das genaue Gegenteil sagen, sie arbeitet mit vielen intelligenten Pointen, die keine Zugabe, sondern eine besondere Zuwaage sind.

Ana Marwan ist sozusagen ein bilaterales Phänomen. Sie ist in Österreich und Slowenien eine große Schriftstellerin. Bei ihren Fähigkeiten wäre es wünschenswert, dass sie zweisprachig bleibt.

Zu rühmen ist unbedingt auch die Übersetzung Klaus Detlef Olofs. Der Text fließt und klingt wie ein Original und hat in der Zielsprache mit Bestimmtheit nichts an Güte eingebüßt.

Dasselbe kann man für die Übersetzung des Bachmanntexts in das Slowenische behaupten, die Amalija Macek besorgt hat. Das einzige Manko ist die Übertragung des Titels Wechselkröte. Macek gebraucht das Wort krota, das für Kröte steht, die vollkommene Übersetzung hieße zelena krastaca oder zumindest krastaca. Wie auch immer, die Wechselkröte ist ein hochkarätiger Text. Wer ihn noch nicht kennt, sollte ihn lesen.

Ana Marwan Verpuppt
Roman.
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof.
Salzburg, Wien: Otto Müller, 2023.
217 S.; geb.
ISBN 978-3-7013-1302-.

Ana Marwan Wechselkröte/Krota
Zweisprachige, deutsch-slowenische Ausgabe.
In das Slowenische übersetzt von Amalija Macek.
Salzburg, Wien: Otto Müller, 2022.
56 S.; geb.
ISBN 978-3-7013-1307-5.

Rezension vom 01.02.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.