#Prosa

Ruhm am Nachmittag

Karl-Markus Gauß

// Rezension von Alexander Kluy

Namen von Rang werden gern angeführt, kommt die Sprache auf die Journalbücher des Salzburgers Karl-Markus Gauß, von denen nun mit Ruhm am Nachmittag das vierte erschienen ist: Elias Canetti oder der Franzose Alain (Émile Chartier) und dessen „Propos“. Dabei ist die Bezeichnung „Journalbuch“ selber ein Behelf, eine Hilfsumschreibung. Denn weder Tagebuch noch Arbeitsprotokolle sind diese Bände, keine Versuche in Selbstbespiegelung, keine Traumhefte, keine Stoffsammlungen. Auch nicht: das innere Leben diaristisch aufgeschrieben für die äußere (Nach-)Welt.

Zumindest letzteres findet sich bei Gauß selten; und wenn, dann in indirekter Form und Gestalt. Im Porträt von Freunden wie von weniger geschätzten Humanoiden beispielsweise. In der Reflexion über Zeit und Kindheit. Im Räsonnieren über politische Kreaturen und Imbezilitäten. Und so weicht der Literaturkritiker, Essayist, Reisende und verantwortliche Zeitschriftenredakteur, der studierte Germanist und Historiker jeglicher Genrebezeichnung aus. Und kreiert etwas stupend Eigenes. Bei dem das Kompositorische angesichts der Fülle diskret in den Hintergrund tritt, doch immer wieder, jäh und subtil aufleuchtend, aufscheint.
Dem jüngsten Buch ist das Angelus Silesius-Motto „Denn du selbst bist die Zeit“ vorangestellt und man meint, von diesem Lebenszeit aufschließenden Satz sofort sich den Bezug zu den Auftaktsätzen, einer fast lyrischen Prosaminiatur eines Schneefalls am letzten Tag des Jahres, erklären zu können. Und realisiert dann erst auf der vorletzten und letzten Textseite, die konkret um Erinnern, Kindheit und Gehen kreisen, dass sich hier ein Kreis schließt, wenn auch nicht gerade ein ganz vollständiger Jahreskreis, so doch der Zirkel des Schreibens, und des schreibenden Mitteilens. Denn dies Buch ist eines des neugierigen Mitteilens.„Das Bedürfnis zu schreiben ist eine Neugier, die wissen möchte, was man finden wird.“ (Alain)

Das Suchen, das Ausschauhalten, das Beobachten, das Hinsehen und Aufklauben reizend verstörender Großpetitessen sind elementare Triebfedern des Gaußschen Welterkennens und Weltbeschreibens. Und diese Welt ist mitunter überaus vielgestaltig und ärgerlich, von großem Liebreiz und von Atem raubender Blödigkeit, von nicht nur Österreich-spezifischem Duckmäusertum gezeichnet, politisch mal farb-, mal ideen-, zumeist herzlos, dieser Kosmos ist klein, groß, gedruckt, wenn Gauß Zeitungsmeldungen aufgreift und sie gründlich liest (oder auch sich empört auf der Klatschseite einer bestimmten Salzburger Postille abgelichtet findet), sie ist erstaunlich – so etwa sein Bericht über eine haarsträubend abenteuerliche Lesung in Bukarest inklusive Besichtigung des megalomanen Stadtpalastes –, sie ist an Menschen gebunden. Und diese Menschen sind nicht selten auch Autoren. Stand in einem Vorgänger-Journal etwa der polnische Weltreporter Ryszard Kapuscinski im Mittelpunkt der Lektüre und der Gedanken, die sich Gauß über das Gelesene machte, so nun der ungarische Romancier Sándor Márai und dessen Tagebuch.

Gewissenhafter denn je taucht Gauß in die eigene Biographie ab, erzählt lustvoll von den Abenteuern als Beitragssendbote seiner selbst und den Manuskriptabgabefahrten in die Setzerei in prädigitalen Zeiten (in denen es, sobald er in Salzburg unterwegs war, zuverlässig regnete). Erinnert sich an die Kindheit; und vielleicht schreibt er ja, wie am Ende dezent avisiert, das Buch über sich selbst und Salzburg in den 50er, 60er und 70er Jahren tatsächlich. Es ist ein kunstvolles, kunstvoll herbeigezaubertes, perkussiv wohltönendes Spiel mit Zeit, das hier entfaltet wird: mit geschriebener Zeit (als Schreibzeit), mit gelebter Zeit (als Lebenszeit), mit den Spalten der Zeitvergessenheit (wenn er etwa ausführlich über den Triestiner Slowenen Boris Pahor schreibt und über Richard Bermann alias Arnold Höllriegel nachdenkt, den Publizisten und Romancier, der 1938 ins Exil gezwungen wurde, um ein Jahr darauf in den USA zu sterben). Aber hinter dieser Zeitversessenheit verbirgt sich ebenfalls anderes: Zeitgenossenschaft.

Dass Gauß mit seiner Meinung nicht diplomatisch hinterm Berge hält, zeigt er auch diesmal mit langen Exkursen über Privatisierung und ihre Folgen, Neoliberalismus und Casino-Kapitalismus. Das hat man in dieser des Öfteren mit Lamentolametta reich dekorierten Form zwar bereits gelesen, doch bisher nur selten mit solch sprachlicher Eleganz und mit solch eleganter Wutmarmorierung. Ohnehin erweist sich Karl-Markus Gauß, der glücklicherweise nach dem Studium eine Karriere als Schullehrer ausschlug, als anspruchsvoller und zugleich ungemein lesbarer Stilist. Er schreibt biegsam, nie unterfordernd, seine gestaffelten Sätze greifen aus, ohne jemals unter allzu barocker Unter- und Nebengliederung zu kollabieren. Alles bleibt luftig und leicht und menschenzugeneigt; ja, ist geradezu für imaginäre Zuhörer geschrieben. Deshalb erscheinen auch seine Hommagen an die beiden um eine Generation älteren Freunde Paul Flora und Paul Parin so aufschlussreich, weil sich hier das Bild vom Schreiben, vom Aufnotieren, vom Erzählen als das Bild vom Kommunizieren mit der (abwesenden) Leserschaft herausstellt. Kommunikation ist für ihn Antrieb und ein soziales, anthropologisches Muss, und deshalb amüsieren ihn etwa die Städteporträts des Spaniers Rafael Chirbes so wenig. Bei diesem fehlen, moniert er, inmitten der Geschichte und der Kunst die Menschen, die Menschenporträts, die Menschenbegegnungen.

Das einzige Rätsel, das konsequent bis zum Ende unaufgelöst bleibt, ist das des Schutzumschlages, eine gut eingetropfte Leiter eines Wandanstreichers zeigend. Worauf will der Designer David Hauptmann verweisen? Auf die Artistik à la Gauß, ein solches fragiles und zugleich steifhölzernes Arbeitsgerät freihändig und fast zirzensisch meistern zu können? Auf die Handwerklichkeit der Gaußschen Texte? Dass hier, um notorisch gewordene Werbung variierend, noch alles gemacht wird mit Herz und Hand? Oder dass Gauß bereits auf dem Weg ist nicht nur zu höheren Preisweihen (von denen ihm bereits zahlreiche zu teil wurden), sondern eine nächste Tritt-Stufe anstrebt: per aspera ad astra? Vielleicht schaut der „Hinschauer“, wie er einmal treffend genannt wurde, einmal hin und verrät es im nächsten Buch.

Karl-Markus Gauß Ruhm am Nachmittag
Prosatext.
Wien: Zsolnay, 2012.
288 S.; geb.
ISBN 978-3-552-05567-4.

Rezension vom 02.04.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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