Erst am Ende, im dritten Abschnitt, mit dem Titel „Einfach“, findet sich ein gleichnamiges Gedicht, das ein Bild von purer und erfüllter Gegenwart zeichnet: „Tage und Nächte / wir tanzen wir klingen / wir leuchten in unserem Fleisch“. Die vielen Gedichte vorher sind nicht dazu da, uns zu beruhigen. Im Raum steht eine schleichende Bedrohung: Vor uns sind bereits andere gestorben, auch unsere Zeit ist befristet. Auf der Welt gibt es keine sichere Heimat, keinen geschützten Ort. Alle diesbezüglichen Versuche decken die Gedichte als verlogene Idyllen auf. Das titelgebende Gedicht Ruhig Blut beginnt harmlos: „Ruhig Blut es / ist kein Räuber es // poltert doch nur / unser Engel […] “ – andererseits sagt man so etwas nicht auch, um Kinder zu beruhigen? Von welchem Engel ist hier eigentlich die Rede? Es ist, so wird mehr und mehr deutlich, der Todesengel da „stehen selbst / die letzten // Würmer / stramm“.
Was die Gedichte von Müller-Wieland, die demnächst mit dem Priessnitz-Preis ausgezeichnet wird, vor allem auszeichnet, ist ihr Interesse an Konkretem. Trotz hoher subjektiver Aufladung verliert sie die Welt nie aus den kritischen Augen. Daß Müller-Wieland über Peter Weiss‘ „Ästhetik des Widerstands“ ihre Doktorarbeit geschrieben hat, klingt insofern nach, als so etwas wie ein Aufbegehren gegen verlogene Verhältnisse, sei es politisch, sei es privat, mitschwingt. Stets schiebt sich ein Stück Vergangenheit in die Gegenwart: „Mit hungrigen Händen / waschen wir unsere Himmel / hell biegt sich / Vergangenheit / bluthell uns zu“.
Der Gedichtband ist in drei Zyklen mit unterschiedlichen Themen gegliedert – Teil eins: Elternhaus, Privates, Gedichte an eine Bildhauerin; Teil zwei: Orte, Landschaften, Reisen; Teil drei: Alltag, Liebe, Glück. Müller-Wieland liebt das Spiel mit Formen, jedes Gedicht sucht sich seinen eigenen Weg in die Sprache. Trotzdem sind es bei aller Sprachverliebtheit keine rein innerlichen oder gar hermetischen Rückzugsgedichte, die man hier findet. Sie bleiben bei aller Poetik so konkret und unsentimental wie möglich, zugleich so komplex wie das wirkliche Leben, wo es nur so wimmelt von Ungleichzeitigkeiten und Überschneidungen von eigentlich Unvereinbarem. Meist ist das Pathos schön unterkühlt, und um eine überraschende Wendung, die durchaus ironisch sein kann, ist sie auch nie verlegen. Ihre Stärke ist dieses Lapidare: plötzlich steht irgendwo ein Stolperstein. Es kann als Gedicht über Silvester beginnen: „Mit weichen Händen begraben wir das Jahr“ – geht über das Ritual des Wünschens, um dann am Schluß überraschend, und ohne Ankündigung, bei einem anderen, noch offenen Grab zu enden „Tote Väter sterben nie“. Gedichte, die so Haken schlagen, kann man ruhigen Blutes weiterempfehlen.