#Roman

re:mondo

Simone Schönett

// Rezension von Monika Maria Slunsky

Was die Bibel nicht erzählt, das verrät Simone Schönett in ihrem Roman „re:mondo“. Noah hatte einen Bruder, unbekannterweise. Ohne den Vergleich mit der christlichen Vorlage zu scheuen, wird stolz von Jakob erzählt. Als freiheitsliebender, musikalischer und reisender Mensch verkörpert er jenische Werte. Auch Jakob und seine Spielleute haben die große Flut überlebt – in Jenesien, als Jenische. (Die „weißen Zigeuner“, wie sie in Abgrenzung zu Roma und Sinti häufig bezeichnet werden, sind in Österreich nach wie vor eine nicht anerkannte Minderheit: http://members.aon.at/jenisch.at/)

Simone Schönett erweitert Noahs Geschichte mit einer sprachlichen Präzision und dezenten Ironie, als stünde ihre Erzählung wahrhaftig in der Bibel. Sie lädt uns Leserinnen und Leser im Prolog geradezu ein, in die jenische Geschichte einzutauchen und wirft die Frage auf, wie eine junge Jenische im 21. Jahrhundert lebt.

re:mondo ist das zweite Werk, in dem sich Schönett dem Jenischen verschrieben hat. In ihrem ersten Roman „Im Moos“ erzählt sie die Geschichte ihrer jenischen Großfamilie. Der Tod des Familienoberhauptes am Romanende deutet zugleich das Ende des Zusammenhalts an. Von ihren Familienbanden losgelöst hat sich die Jenische Sara. Aber re:mondo ist keine Fortsetzung von „Im Moos“. Schönett erzählt von kriegstraumatischen Erlebnissen sowohl jenischer als auch nicht-jenischer Verfolgter im zweiten Weltkrieg. Sie folgt dabei zeitgeschichtlichen Fakten, jedoch nicht aus der Ich-Perspektive Betroffener. Die vergangenen Geschichten werden durch die erste Generation, die keinen Krieg miterleben musste, wieder ins Gedächtnis gerufen.

Ein junges Paar, das sich in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts verloren hat, sucht rat- und rastlos Zuflucht: sie bei ihrer toten jenischen Großmutter Anna, er bei dem im Sterben liegenden, homosexuellen Kriegsveteranen Raymond. Die Lebensgeschichten von Anna und Raymond werden isoliert erzählt, jeder Figur ein eigener Erzählstrang gewidmet. Ihre Verbindung ist symbolischer Art. Eine zaghaft angedeutete Begegnung Anfang des 20. Jahrhunderts verläuft sich. Um die Simultanität der Lebensgeschichten zu begreifen, wäre der direkte Hinweis auf das gemeinsame Geburtsjahr 1919 allerdings nicht notwendig. Aber das Schicksal spielt gerne und gut eine außerordentliche Rolle in re:mondo.

Nach außen hin hat sich die Enkelin Sara von ihrer jenischen Großmutter losgelöst, innerlich nicht. Das führt zu Konflikten mit ihrem Freund Stephan. Dass sie schwanger ist, möchte sie dem anti-familiär eingestellten Krankenpfleger nicht erzählen. Ihr Zwiespalt, ihr Hin- und Hergerissensein zwischen jenischer und traditionsloser Lebensweise berührt. Für Sara ist auch im 21. Jahrhundert der Gegensatz von Fahrenden und Sesshaften Realität. Mit Spannung erwarten wir ihre Lebensentscheidung. Stephans Hilfesuche bei Raymond ist bodenständiger. Er setzt sich an das Krankenbett Raymonds und hört zu. Ehe er aus der lebhaft erzählten Lebensgeschichte lernt, hat Sara ihren Entschluss gefasst. Da sie schwanger von einem One-Night-Stand mit einem Jenischen ist und der Streit mit Stephan eskaliert, verlässt sie diesen für immer. Stephans reuige Einsicht kommt zu spät. Die Traumata der Vorfahren wiederholen sich bei den folgenden Generationen – unbewusst. Schönett holt das Unangenehme an die Oberfläche und konfrontiert Sara und Stephan damit. Die Figurenzeichnung ist authentisch, emotional, persönlich. Keine leichte Kost, aber eben deswegen lesens- und reflektierenswert.

re:mondo mangelt es nicht an gesellschaftspolitischer Aktualität. Sätze wie „Doch einen Gewerbeschein bekommt nur, wer einen Heimatschein besitzt. Und den erhält nur […]“ lassen sich auf die (österreichische) Asyldebatte beziehen. Denn auch diese „Geschichten“ komplexer Verfahren für Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen wiederholen sich. Die Autorin erhebt trotzdem nicht den moralischen Zeigefinger. Mit ihren emphatischen Worten erwirkt sie Bewusstsein für die heutige und damalige Situation der Jenischen.

Die Sprache ist fordernd, da zahlreiche Sätze mit „Dass“ beginnen. Die Vertriebenen und die Hilfesuchenden von damals und heute buhlen um Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir ihnen zuhören. Schönett hat ihnen zugehört, weil sie Anna, Raymond, Sara und Stephan jeweils einen eigenen Sprachstil zugesteht. Während Raymond noch aufgeregt von den Erlebnissen im zweiten Weltkrieg berichtet, fast atemlos, wird die Geschichte der toten Großmutter vom allwissenden Erzähler ruhig und schlicht nacherzählt. Die Sprache von Sarah und Stephan im Jahr 2008 ist dementsprechend modern, an den Jargon der Jugend angelehnt.
Dass die vergangenen Geschichten im Präsens erzählt werden und die gegenwärtigen in der Vergangenheitsform, zeigt die Relativität der Zeit. Das Heute wird Vergangenheit sein, das Vergangene weist in die Zukunft, dies könnte in der Fußnote zu re:mondo stehen.

Simone Schönett re:mondo
Roman.
Klagenfurt: Edition Meerauge, 2010.
176 S.; geb.
ISBN 978-3-7084-0385-4.

Rezension vom 30.11.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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