Im Zentrum stehen drei Personen: Marlene, die Witwe, die als Lehrerin gerade das Pensionsalter erreicht hatte, und die Kinder des Paares, Filippa und Bob. Beide haben in ihren jeweiligen Fächern promoviert und versuchen, im akademischen Betrieb dauerhaft Fuß zu fassen. Sie ringen mit dem Verlust des Vaters, aber sie kämpfen und hadern auch mit ihren eigenen Lebensentwürfen, ihren privaten Entscheidungen und beruflichen Perspektiven.
Filippa, Mitte 30, ist Philosophin und Germanistin. Stets zwischen zwei Universitäten unterwegs, an denen sie forscht und unterrichtet, arbeitet sie nachts freiberuflich, um sich das ständige Unterwegssein zwischen Paris und London, wo ihr Partner wohnt, zwischen Deutschland und der Tiroler Heimat leisten zu können. Zugleich fühlt sie sich für den Zusammenhalt und das emotionale Gleichgewicht der Familie verantwortlich. Familie und Habilitation, Care Work und Karriere – Filippa lädt sich viel auf, und ihr wird viel aufgeladen. Immer ist es die Zeit, die ihr fehlt.
Zeit ist auch für ihren Bruder Bob eine entscheidende Kategorie, denn er, ebenfalls auf dem steinigen Weg ins Post-doc-Leben, versteht sich als „Zeitforscher“, als innovativer Freigeist. Wie sein Vater ist er Naturwissenschaftler, die fachliche Nähe jedoch hatte meist zu Konflikten zwischen den beiden geführt. Überfordert und auf der Suche nach Orientierung zieht er sich nun in sich selbst und in die Einsamkeit einer griechischen Insel zurück. Der Roman ist nicht zuletzt das Porträt einer akademischen Generation, die unter enormem Leistungsdruck steht.
Wut und Trauer, Ohnmacht und Angst prägen die ersten Wochen und Monate, und der Roman lässt sich und seinen Figuren Zeit. Wie kann der Weg in ein Leben gelingen, das wieder neu auf die Zukunft, auf das, was kommt, ausgerichtet ist? Regenbogenweiß ist eine intime Charakterstudie – und zugleich ein Roman über das, was bleibt, wenn ein Mensch aus dem Leben scheidet: Im Familienarchiv, dessen Aufarbeitung Marlene, Filippa und Bob sich stellen müssen, sind die individuellen Erinnerungen an den Verstorbenen verwahrt, aber eben auch unzählige Dinge und Gegenstände, die sich im Lauf eines gemeinsamen Lebens angesammelt haben. Wie in Arno Geigers Roman Es geht uns gut (über den Gösweiner auch literaturwissenschaftlich gearbeitet hat) oder zuletzt in Katharina Pressls Andere Sorgen ist die Erschließung eines Erbes eng mit der Frage verknüpft, wer man selbst als Hinterbliebener ist und sein möchte.
„Was ist ein glückliches Leben?“ – Die Figuren stellen sich und einander diese Frage, der Verlag hat sie prominent auf den Umschlag des Buches gedruckt, der Roman und seine Autorin jedoch halten sich mit einer Antwort betont zurück. Immer wieder blitzen Momente eines Glücks in glücksfernen Zeiten auf: Aber wie lassen diese sich in einen Lebensentwurf übersetzen? Am Ende stehen Marlene und die beiden Geschwister jeweils vor richtungsweisenden Entscheidungen, sie zögern kurz – und damit bricht die Erzählung ab.
Regenbogenweiß ist Friederike Gösweiners zweiter Roman. Für ihren 2016, ebenfalls im Literaturverlag Droschl erschienenen Roman Traurige Freiheit wurde sie mit dem Debütpreis zum Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet. Zuvor hatte sie an der Universität Innsbruck mit einer Dissertation zur „Einsamkeit in der jungen deutschsprachigen Literatur der Gegenwart“ promoviert: ein Thema, das auch ihre beiden Romane ganz wesentlich prägt.
Gösweiner bezeichnet sich heute als „Wissenschaftlerin ohne eine feste Disziplin“, auch das Schreiben fiktionaler Texte ist für sie eine Spielart des Forschens, um die sozialen, politischen und emotionalen Verwerfungen unserer Zeit zu verstehen und einzuordnen. Mit Regenbogenweiß hat die erzählende Forscherin und forschende Erzählerin erneut einen Roman vorgelegt, dessen Fokus ungemein nah bei seinen Protagonist/inn/en bleibt (was einen bei der Lektüre mitunter ganz schön mitnimmt) – und der zugleich ins große Ganze der Weltdeutungen und Denksysteme weist.