#Sachbuch

"redet nicht vom Schweigen"

Stefan Krammer

// Rezension von Alfred Pfabigan

Die endlose, ununterbrechbare, absatzlose, von zahlreichen Wiederholungen und Übertreibungen durchzogene Suada seiner Protagonisten ist geradezu ein Erkennungszeichen sowohl der Prosa wie auch der Theaterstücke Thomas Bernhards. Es wird allerdings auch viel geschwiegen im Werk Bernhards und das Schweigen wird auch von den Protagonisten selbst kommentiert: in „Ritter, Dene, Voss“ rechtfertigt sich Dene für ihre vielen stummen Rollen und in „Auslöschung“ erklärt uns Murau, dass gerade diese stummen Rollen die „allerschwierigsten“ seien. Theaterpraktiker wie Hermann Beil, Therese Affolter und Traugott Buhre haben das unterstrichen: die stummen Figuren, so Beil, „müssen ganz genau bearbeitet werden“, die stumme Person, so Affolter, sei „auf ihre Weise beredt“, ja sogar – so Buhre – „auf verblüffende Weise“.

Stefan Krammer hat nun nicht nur auf die Wichtigkeit des Schweigens in Bernhards dramatischem Werk hingewiesen sondern ihm auch eine Monographie gewidmet. Es ist gar nicht so einfach, sich mit dem „Schweigen“ an sich zu beschäftigen, weil es in vielen Fällen – und vor allem auf der Bühne – mehr ist, als die bloße Abwesenheit von Sprache, nämlich ein konstitutives Element menschlicher Kommunikation. Das „verbale Null – Zeichen“ mit seiner Ambiguität und Komplexität kann sowohl in der unmittelbaren Kommunikation wie auch auf der Bühne beim den mit ihm Konfrontierten extreme Konsequenzen auslösen. In jedem Fall hat es einen rätselhaften Charakter und ist decodierungsbedürftig: „Silence has many faces….“,schreibt Adam Jaworski in einem Buch mit dem Titel „The Power of Silence“, das manche Thesen Krammers vorwegnimmt.

Krammers Semiotik des Schweigens beginnt mit einer Untersuchung des Schweigens auf den Ebenen von System, Norm und Rede: „Auf der Ebene des Systems soll eine Theorie hinsichtlich des Schweigens mit seinen unterschiedlichsten Formen konstruiert werden, auf der Ebene der Norm werden historische Prozesse rekonstruiert, indem das Schweigen in bezug auf seine geschichtliche Verfasstheit untersucht wird, auf der Ebene der Rede wird das Schweigen eines konkreten Textes beschrieben, analysiert beziehungsweise interpretiert.“ Das ist ein weitgespanntes und ehrgeiziges Projekt und vor allem auf der ersten Ebene überrascht die Vielzahl der AutorInnen, die sich mit dem Schweigen beschäftigt haben und die unterschiedlichen Positionen, die sie dazu erarbeitet haben. Bei manchen Teilen der fast enzyklopädischen Rekonstruktion der „Theorie des Schweigens“ ist der Bezug zu Bernhard allerdings nicht klar sichtbar bzw. die Fallbeispiele werden den theoretischen Positionen nicht konsequent gerecht.

Überzeugend ist ein zentrales Ergebnis von Krammers Untersuchung: dass die Machtstrukturen unter den Bernhard – Figuren durch die Dynamik von Reden und Schweigen ausgehandelt werden. Das kann zu verschiedenen Ergebnissen führen: monomanisch sprechende Bernhard-Figuren wie die Mutter in „Am Ziel“ können ihre Sprache als Machtinstrument benützen und mit „sadistischer Verbalquälerei“ ihren Weltekel an ihren mehr oder oder weniger schweigenden ZuhörerInnen auslassen. Johanna in „Ein Fest für Boris“ macht durch ihr Schweigen die Machtverhältnisse zwischen ihr und der „Guten“ transparent. Die schweigende und an den Rollstuhl gefesselte Clara in „Vor dem Ruhestand“ schweigt – so Krammer – „überlegen“ und muss sich am Ende, nach dem Tod des Bruders und SS-Offiziers Rudolf von der Schwester sagen lassen: „Du bist schuld / mit deinem Schweigen / du mit deinem ewigen Schweigen.“

Tatsächlich „muss“ Clara, deren politisch linke Sympathien der Text andeutet, im Interesse ihrer Geschwister schweigen – ihr Schweigen hütet die schmutzigen Geheimnisse der Familie, den Inzest, die Nazi-Vergangenheit und die ekeligen Rituale an Heinrich Himmlers Geburtstag. Dieses Schweigen hat eine teilweise kollektive Dimension und Bernhard selbst, meint Krammer, hätte es gezielt gebrochen: „Das Dramolett `Der deutsche Mittagstisch` leitet Ende der 70er Jahre eine gewissermaßen politisch motivierte Phase in Bernhards dramatischem Schaffen ein, die ihren Höhepunkt bezüglich der politischen Resonanz in seinem letzten Werk Heldenplatz erreicht.“ In „Heldenplatz“, dem lange „verschwiegenen“ Text zum „verschwiegenen“ Thema werde „endlich darüber gesprochen (…), was die Geschichte lange Zeit verschwiegen hatte“. Man sollte diese Feststellungen vor der Folie lesen, dass ab „In der Höhe. Rettungsversuch. Unsinn“ der Holocaust und der österreichische Schuldanteil an den Verbrechen des Nationalsozialismus von Bernhard in seiner Prosa unentwegt thematisiert wurden – manchmal in einer äußerst codierten Form, die Anlass zur Vermutung gibt, dass Bernhard weniger am Faktum des Verschweigens der Vergangenheit und am „Aufdecken“ interessiert war, sondern mehr an der Art, wie seine Figuren mit dieser Vergangenheit umgehen. Man sollte auch nicht übersehen, dass „Heldenplatz“ zu einem Zeitpunkt verfasst wurde, als die große österreichische Selbstkritik, an der sich in gewisser Weise eine ganze Generation heimischer Intellektueller abgearbeitet hatte, schon ziemlich etabliert war.

„Heldenplatz“ präsentiert sich in geradezu aufdringlicher Weise als ein Stück zur Österreich-Kritik und hat als solches auch reüssiert, gewinnt aber an Qualität und Tiefgang, wenn man es als ein Stück über Österreich-Kritiker liest. Es ist nicht ganz klar, warum Krammer dem „Präsidenten“ zu Recht konzediert, dass das Stück auf der inhaltlichen Ebene die politische Realität (die bundesrepublikanische RAF-Hysterie) parodiert, während er uns gleichzeitig auffordert, Behauptungen wie die, dass es im Wien des Jahres 1988 schlimmer sei als im Wien des Jahres 1938, als ernsthafte Aussagen Bernhards zu verstehen. Krammer polemisiert gegen eine Lesehaltung, die als Teil der Distanzierung Bernhards von seinen Protagonisten darauf hinweist, dass wir es bei den Schusters mit einem für Bernhard typischen pathologischen Familiensystem zu tun haben, einer von innerfamiliärem Hass erfüllten „Bezichtigungsgemeinschaft“, die nur über das Medium der Österreich-Beschimpfung kommunizieren kann. Wer solches tut – wie der Autor dieser Rezension – interpretiere willkürlich und verbanne die Schusters „allesamt (!)“ auf den Steinhof, so Krammer. Doch das hat Bernhard tatsächlich selbst getan – zumindest lässt er die Frau Zittel den toten Professor Robert Schuster unwidersprochen zitieren: „Die ganze Familie ist / durch Steinhof gegangen / jeder von uns war einmal in Steinhof …“ Es ist der Reiz zahlreicher Österreich-Beschimpfungen, auch im „Theatermacher“, dass Bernhard sie Figuren in den Mund legt, die er uns als „Narren“ vorgeführt hat – für Gitta Honegger ist das ja ein Schlüsselbegriff zum Verständnis von Bernhards öffentlicher Rolle. Wer diesen Status bestreitet, macht sich – ungewollt – zum Komplizen derer, die etwa „Heldenplatz“ auf seinen „Skandalwert“ reduziert haben und das hat das Stück wohl nicht verdient.

Stefan Krammer „redet nicht vom Schweigen“
Zu einer Semiotik des Schweigens im dramatischen Werk Thomas Bernhards.
Würzburg: Könighausen & Neumann, 2003.
(Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. 436).
202 S.; brosch.
ISBN 3826024591.

Rezension vom 29.04.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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