#Prosa

Rauchernovelle

Adelheid Dahimène

// Rezension von Emily Walton

Selten polarisiert ein Thema so sehr wie das Rauchen. Sollen wir im Lokal den blauen Dunst verbreiten – oder nicht? Im Zug eine Zigarette oder eine Zigarre rauchen?
Nein. Natürlich nein, sagen Nichtraucher. Ja. Natürlich ja, sagen Raucher.
Die Raucher murren, rauchen und müssen zusehen, wie ihnen der Genuss des Qualmens nahezu überall verboten wird. Sie gehören zu einer Minderheit, „deren Ausrottung alle Länder einhellig beschlossen haben.“ (S. 19)

Als NichtraucherIn begegnet man dem Buch Rauchernovelle mit gespaltenen Gefühlen.
Da sitzt eine Frau in einem Zug und beklagt, dass ihr der Genuss der Zigarre verwehrt wird.
Die Stimmung im Land drückt seit Monaten restriktiv auf mein Befinden: Ganz Europa rauchfrei. Solche unseligen Parolen fahren mir durch Mark und Bein, und es hebelt meine Atemwege aus, wenn ich die Aufschriften: Rauchen kann tödlich sein, Rauchen gefährdet die Gesundheit ihrer Mitmenschen, auf den lange unbescholtenen Tabakpackungen lese, und deshalb vermischt sich in meinem Kopf der Zeitteig aus gestern, heute und morgen zu einem komischen Brei.“  (S.29)

Soll man hier Mitleid haben?
Oder das Buch gar weglegen?
Nein, denn man würde etwas versäumen.

Eine Frau reist also. Zunächst zwischen Wien und Zürich. Später geht es nach Budapest und Venedig. Fast immer befindet sie sich im Zug, in einem Abteil mit immerwechselnden Mitreisenden. Es ist ein ehemaliges Raucherabteil. (Inzwischen sind diese schon schwer zu finden.) In den Armlehnen der Sitze sind die ausziehbaren, silbernen Aschenbecher, wie wir sie fast nicht mehr kennen.
Die Protagonistin – nennen wir sie „die Raucherin“, denn sie bleibt namenlos – will einen ebensolchen Aschenbecher öffnen. Nur öffnen, bloß um den Duft der abgestandenen Asche zu riechen. Da sieht sie plötzlich die Schrauben. Zugeschraubt wurden die Aschenbecher. Und Minuten darauf erlebt die Protagonistin, wie sich Schrauben durch ihre eigenen Hände bohren. Sie wird im Abteil festgenagelt, gekreuzigt. Die beiden Frauen im Abteil werden zu ihren Schächerinnen.

Von hier an nimmt diese fiktive Geschichte, die sich wie ein Traum, ein Hirngespinst der Frau liest, ihren rasanten Lauf. Sogar Nichtraucher fiebern mit.
Wann wird diese Frau ihren nächsten erlösenden Zug von der Zigarre machen? In der Not greift sie sogar zu den Pall Mall Zigaretten, die ihr ein Passagier anbietet. Ein männlicher Raucher, der sich gegen die Gesetze auflehnt: Er reist mit seinem eigenen Aschenbecher, ein kleines Porzellangefäß mit Bad-Hofgastein-Motiv. Am liebsten aber sind der Protagonistin die Zigaretten des ungarischen Bord-Service-Mitarbeiters Anatol, der zu ihrem Verbündeten wird.

Eine Frau, die nur über das Rauchen und die Sehnsucht nach dem Rauchen fantasiert – das wäre freilich zu wenig für ein 169-Seiten-Buch. In dieses „Hohelied auf die Virginier“, wie die Novelle auch auf dem Buchdeckel angekündigt wird, verwebt Dahimène eine Handlung: Ein Schaffner wird erschlagen, die Polizei kommt, um die Passagiere zu verhören. „Verheiratet, nein. Kinder, nein. Beruf, nein. Wie? Ach ja, Fließbandarbeiterin. Starke, sehr starke Raucherin.“
An dieser Stelle hat die Protagonistin auch die Nichtraucher schon gänzlich auf ihrer Seite.

Dahimène schreibt in ihrem gewohnten Stil, den man schon aus früheren Werken (wie etwa „Buttermesser durchs Herz“) kennt. Eigenwillig ist ihre Schreibe, individuell und artifiziell die Sprache. Leser müssen sich hineinfallen lassen und sich Zeit nehmen, um vielleicht auch ein zweites Mal über Passagen zu gehen. Sonst bleibt das Sprachspiel – die Komplexität von Wortspielen und Bedeutungsverschiebungen – verborgen. Manches bleibt trotz mehrmaliger Lektüre verschwommen und diffus – eben ein wenig eingenebelt vom Rauch. Auch das ist typisch für die Autorin Dahimène, die auch als Kinder- und Jugendbuchautorin, Lyrikerin und Essayistin gefeiert wurde.

Das Tempo in diesem Buch wechselt. Mal ist es die Langsamkeit, mit der Dahimène die Qualen ihrer Protagonistin beschreibt. Dann wieder besticht der Text durch seine Lebendigkeit und die bildhafte Sprache. Man sieht den wimmelnden Bahnhof, spürt den Grind am Westbahnhof und atmet den Rauch bei einer Einkehr im Café Westend in Wien ein.

Unmöglich ist es, in der Protagonistin nicht auch die Autorin zu sehen: Adelheid Dahimène war Raucherin. Mit Zigarillo und Zigarre – so war sie oft anzutreffen.
Auf dem nun erschienen Taschenbuch ist die Silhouette einer Frau mit Zigarre zu sehen: Es ist die Autorin selbst.

Die Rauchernovelle ist das letzte von der Autorin für den Druck freigegebene Buch. Dahimène ist im Herbst 2010 gestorben. Schön, dass ihr letztes Buch im Klever Verlag erscheint. Adelheid Dahimène hat Verleger Ralph Klever maßgeblich zur Gründung dieses literarischen Verlags ermutigt. Zuvor ist hier der Gedichtband Blitzrosa Glamour erschienen.

Adelheid Dahimène Rauchernovelle
Novelle.
Wien: Klever, 2011.
170 S.; brosch.
ISBN 978-3-902665-28-7.

Rezension vom 28.03.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.