#Lyrik

Rabe des Nichts

Ingram Hartinger

// Rezension von Julia Zarbach

Um alles, um nichts dreht sich Ingram Hartingers neuer Gedichtband Rabe des Nichts und macht bereits in seinem Titel seine Philosophie rund um Sein und Nichtsein, um die Totalität der Gefühle und gefürchtete Nichtigkeit zum literarischen Programm. In Prosa- und Versgedichten, die teilweise mit Zitaten und Tagebuchnotizen unterlegt sind, verarbeitet Hartinger die Gefühlsregungen seiner Seele: die Angst vor dem Tod, sein berufliches Zwischendasein als Psychologe und Autor oder sein Verhältnis zur Sprache.

Nichts – des Todes düsteres Gesicht, lugt immer wieder in Hartingers Visionen um das eigene Ableben hervor. In Jetzt bin ich dran sinniert der 1949 geborene Autor über seinen Tod, der ihm nicht mehr so weit scheint: „Der Tag nicht mehr fern da du dich an / Der Sterschnuppe festhalten kannst / Was für ein schönes Häubchen wirst du / Aufhaben wie sehr werden sich deine / Nicht-Haare freuen wie schön werden // Sich deine Lippen zu einem Nicht-Wort / Zusammenfügen und dich verschweigen“. Von der Frage, was von ihm, dem Autor Hartinger bleiben wird, spricht das Gedicht Konkurrenz des Humanen, in dem der tote Dichter aus seinem dunklen Grab herauf zum Leser grübelt: „Man bleibt allein. Der Mann kann die tote Erdkruste nicht aufbrechen. Geht weiter so langsam, schleppend in Ketten. Ein andermal schlägt die Glocke zu einer anderen Zeit. Wer schaut diesen Menschen an? Wer sucht ihn?“

Diese negativen, zweifelnden Reden rühren auch von Hartingers Doppelleben als Psychologe und Autor her, und so bietet jene Innenwelt, in der die Lücke der Zugehörigkeit klafft, Stoff für lyrische Reflexion. In Bei Molch und Alge verschlafen erzählt der Psychologe Hartinger, wie er zu früh an seinem Arbeitsplatz erscheint und die Zeit zum Schreiben nutzt, sich der Eingebung hingibt, zum Autor wird, um dann von Selbstzweifeln befallen zu werden: „Ich, der ich noch immer nicht Schriftsteller war und nie einer sein werde, ich sollte in Zukunft wo denn meine letzte Ruhestätte finden? Egal, ich begann wieder einmal zu schreiben – um mein Leben zu schreiben (…) Weshalb willst du überhaupt als Schriftsteller gelten, befragte ich mich dumpf. (…) Es gab für mich keine Antwort auf die von mir gestellte Frage.“

Alles – die Totalität der Gefühle beschreibt Hartinger in Szenen über sein schriftstellerisches Schaffen. Er schildert die Schwierigkeiten des Dichtens, die Schattenseiten, die Verzweiflung, wenn sich der Text einem plötzlich verweigert: „Zur Stunde weiß ich nicht, ob es gelingt. Ich befinde mich in einem Ausnahmezustand. Das Gedicht verweigert sich mir. Ich frage es, warum es das tut, aber es gibt keine Antwort.“ Aber auch die mutvollen, hellen Seiten der Kunst finden Eingang in seine Poesie, wie in Hohe Buchstabensee, wo sich Hartinger selbst zum intentionalen Schreiben antreibt: „Weg von der Ästhetik der Angst. Los, geh schon. Du brauchst nichts, um ein Gedicht zu machen. Am wenigsten die Angst. Das frühe Schiff. Nimm es.“

Es ist das leise, aber tiefe Rauschen seiner Seele, das der Autor durch die Sprache dem „Gespenst des Nichts“ entreißen will – ein Motiv, das sich als vordergründigste Triebfeder seiner Lyrik zeigt. Denn zu schnell zerfließen die Gefühle im Sumpf des Vergessens, müssen schriftlich festgehalten werden: „Wenn ich nun nichts schreibe, kommt es zur Scheidung vom anderen Ich. Scheidungsbrief vor mir, der Andere wartet nicht länger, zieht sich zurück.“ Der facettenreiche Blick auf die Sprache – in seinen freien Prosagedichten dahinpurzelnd, in seinen Versgedichten von Enjambement geprägt – umhüllt Hartingers poetischen Kosmos. Die Sprache macht die Welt nicht immer besser und meistens komplizierter. Manchmal steht man ihr wortlos gegenüber: „Das Stimmengewirr hat / Eine Botschaft an mich // Sie besagt immer die / Gleiche Wortlosigkeit“ – manchmal kann man Neues aus ihr schöpfen: „Ich probiere ein neues Wort aus, wie eine Jungfrau des Augenblicks vielleicht Meerwasser kostet.“

Freilich muss innerhalb dieser Philosophie letztlich gelten, dass auch die Dichtung nur ein vorübergehendes Festhalten bedeuten kann. Doch bis sich alles vollständig ins Nichts ergossen hat, ist der Autor – gleich seinem düstren Raben – dazu verdammt, in die Lüfte zu steigen, hinabzublicken und der Welt zuzukrächzen: „Alles da, ich bin nichts“.

Ingram Hartinger Rabe des Nichts
Gedichte.
Klagenfurt: Wieser, 2010.
177 S.; geb.
ISBN-13: 978-3851298710.

Rezension vom 19.04.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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