#Lyrik
#Prosa

Neigungen / Auf einem Teppich aus Luft

Hans Raimund

// Rezension von Friedrich Hahn

„Ich denke nicht gern über mich nach. Ich weiß, warum. Ich schaue mir lieber beim Leben zu,…“ Nun hat er es doch getan. Hans Raimund versammelt in seinen Neigungen Selbstreflexionen, AutorInnen-Portraits und Gedanken generell zum Literaturbetrieb. Hans Raimund ist insbesondere als Lyriker hervorgetreten. Aber er blieb immer ein Stiller, ein Geheimtipp. „…immer lasse ich mich an Grenzen nieder. Immer sind es <Zollgrenz-Bezirke>…“

Hans Raimund und ich sind im weitesten Sinn Weggefährten. Unsere erste Begegnung muss Anfang der 80er-Jahre gewesen sein. Die Raimunds hatten zu einer Redaktionssitzung des PULT in ihre Wohnung in der Lackierergasse eingeladen. In dem Nachruf-Heft für Klaus Sandler (Pult Nr.74/85) ist ein Foto dieses Treffens abgebildet. Klaus Sandler ist da zu sehen, wie er zu Füßen von Brigitte Kronauer sitzt. Ich erwähne dies daher, weil Klaus Sandler zur späteren Büchner-Preisträgerin eine besondere Beziehung pflegte. Sie hat die meisten seiner Romane rezensiert. Auch in ihrem Essayband Aufsätze zur Literatur findet sich eine Besprechung zu einem Klaus Sandler-Roman.

Klaus Sandler hat auch für Hans Raimund eine besondere Bedeutung. Zwei Beiträge in den Neigungen machen dies deutlich. Es ist sicher kein Zufall, dass Raimunds Erinnerungen an Klaus Sandler den Band eröffnen, hat Sandler doch als erster Texte von Raimund in seiner Zeitschrift PULT veröffentlicht. Mit dem Tod von Klaus Sandler am 28.Oktober 1984 verliefen sich auch unsere Wege. Hans Raimund ging nach Duino, wo er bis 1997 am UWC of Adriatic als Lehrer tätig war, ehe er nach Österreich zurückkam und ein Bauernhaus in Hochstrass als Zweitwohnsitz neben der Lackierergasse erwarb.

Hans Raimund ist und war immer ein Lyriker. Über 15 Gedichtbände sind in seiner Bibliografie angeführt . Mit dem bei lex liszt erschienen Sammel-bzw. Auswahlband bekommen wir einen Einblick in das Werk eines Autors, der mit seinem „langen, geduldigen Blick“ die volle Klaviatur der Poetik beherrscht (Raimund hat neben Germanistik und Anglistik übrigens auch Musik studiert). Von sonettartigen Impressionen bis hin zu Stenogrammen des Augenblicks reicht Raimunds Formenvokabular. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. U.a. mit dem Trakl-und dem Wildganspreis. Als Trakl-Preisträger (1994) wurde er 2001 dann auch als Juror eingeladen. Die Vergabe an Andreas Okopenko schien für die beiden anderen JororInnen eine ausgemachte Sache zu sein. Und als man Raimunds Vorschlag (Franz Wurm) als unmöglich, weil politische Entscheidung abtat (Wurm war Jude), legte sich Raimund mit etlichen Entscheidungsträgern aus Politik und dem Literaturbetrieb an. Schnell wurde er in die „Erniedrigten und Beleidigten“-Ecke abgeschoben (Anna Mitgutsch) und Hans Raimund sah sich plötzlich in der Rechtfertigungsrolle: „Ich neige nicht zum Verfolgungswahn. Ich nehme mich weder als Mensch noch als Autor besonders wichtig.“ (H.R. in einem Brief an den Auslober des Trakl-Preises) Diese Streitschriften sind wahrscheinlich der Knackpunkt in Hans Raimunds „Laufbahn“ als Lyriker. Hat man es als Nur-Lyriker schon schwer genug, sich in der Öffentlichkeit und bei den Kritikern einen Namen zu machen, war es nach 2002 für den streitbaren Raimund noch um ein Stück schwieriger, sich Anerkennung zu verschaffen.

Das kann interessieren. Oder auch nicht. Was der vorliegende Band Neigungen jedoch auch Jüngeren vermittelt und über die literaturpolitischen Querelen hinaus interessant macht, sind die unter den Kapiteln „Anregungen“, „Erregungen“ und „Nachgerufen“ versammelten Aufsätze und Besprechungen zu SchriftstellerkollegInnen. Quasi als Einladung zu deren (Wieder-)Entdeckung. Ich bin auf viele gemeinsame Bekannte gestoßen: Doris Mühringer, Franz Rinner, Bruno Weinhals, Evelyn Schlag. Und natürlich Klaus Sandler.

Hier schließt sich der Kreis. Auch Klaus Sandler war einer, der vom „Betrieb“ unter seinen Möglichkeiten gehandelt und bald vergessen wurde. So endet Raimunds Erinnerung an K.S. auch mit dem Appell an die „Literaturpäpste, Verleger, Germanisten, Essayisten und Schriftstellerkollegen“, sich des Werkes von Klaus Sandler durch Neuauflagen und umfassende Aufarbeitung anzunehmen. Na gut. Immerhin gibt es schon eine Klaus Sandler-Gasse im Niemandsland des St.Pöltner Industriegebietes (sic!) und einen Wikipedia-Eintrag. Bleibt zu wünschen, dass Hans Raimund bald jene breite Anerkennung erhält, die er sich für Klaus Sandler wünscht. Leicht wird es allemal nicht für den, der das Raue, das Unbequeme nicht scheut. Oder wie es Karl-Markus Gauß in seinem Vorwort zu Auf einem Teppich aus Luft formuliert: „Der Wohlklang, den der Lyriker Raimund nicht preiszugeben bereit ist, er ist nur zu haben, wenn er Das Raue in mir *) und in der Welt nicht überdeckt.“

Mit den beiden vorliegenden Bänden ist Hans Raimund uns und sich selbst ein großes Stück näher gerückt. Als Lyriker. Als Leser. Als Literaturkenner. Als Übersetzer. Und als Mensch.

*) Hans Raimund Das Raue in mir – Aufsätze zur Literatur und Autobiografisches 1981-2001, Literaturedition NÖ, St.Pölten 2001

Neigungen.
Zuneigungen, Abneigungen, Verneigungen.
Portrait des Autors als Leser.
Wien: Löcker, 2019.
296 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-85409-983-3.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Auf einem Teppich aus Luft.
(On a carpet made of air).
Gedichte.
Oberwart: Edition lex liszt 12,2014.
384 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-99016-068-8.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 13.01.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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