#Roman

Prokne & Co. Eine Groteske.

Isabella Breier

// Rezension von Monika Maria Slunsky

Wer intrigante Machenschaften spinnt, indem er das Vertrauen seiner nahestehenden Personen ausnützt und missbraucht, wird zum Verräter. Wer aber vorsätzlich mit der besten Freundin seiner Ehefrau schläft, um die enge Frauenfreundschaft böswillig zu zerstören, wird zur mythologischen Figur Tereus.

In ihrem Roman Prokne & Co. erzählt Isabella Breier auf groteske Weise die aktuelle Version der Metamorphose Prokne und Philomele des römischen Dichters Ovid aus den Jahren 1 bzw. 3 n.Chr. bis um 8 nach Christus. Timo verkörpert den modernen Bösewicht, alias Tereus. Priska ist die betrogene und belogene Ehefrau, alias Prokne, und Philina die verlassene Freundin, alias Philomele.
Literaturfreunde, Kunstliebhaber und italophile Leserinnen und Leser werden die Lektüre von Prokne & Co. genießen, denn der Roman ist sein Publikum betreffend wählerisch und mit einem hohen Anspruch versehen, der seine Berechtigung in der gelungenen Rezeption des mythologischen Stoffes findet. Zumal sich Isabella Breier mit ihrem Debüt kühn in die literarische Tradition des grotesken Erzählstils von niemand Geringerem als Franz Kafka reiht. Todernst sollte man diesen Hang zur intertextuellen Schreibweise allerdings nicht nehmen, dann würde man ihr in die Falle tappen. Mit einer parodistischen Darstellung der Spaßgesellschaft des 21. Jahrhunderts, in der es ums „Ficken“, „Kiffen“ und „Gaffen“ geht, schafft Isabella Breier einen Spiegel unserer Zeit, der sich von der Historie befreit und so vielleicht selbst einmal zum Mythos wird.

Bei Ovid verwandeln sich Prokne und Philomele zur Strafe in eine Nachtigall und eine Schwalbe. Nach langer Zeit fliegen die Vögel immer noch in Rom herum und bekommen nun den göttlichen Auftrag von der modernen Dreiecksgeschichte zu erzählen. Isabella Breier gestaltet diese Erzählweise „aus der Vogelperspektive“ charmant.
Die Schwalbe beobachtet Philina, die in Rom auf den Spuren ihres verstorbenen Vaters wandelt. Einsamkeit, Entfremdungsgefühle und Depression haben die verlassene Tochter in die ewige Stadt getrieben. Die Spaßgesellschaft hat Philina längst aufgegeben, weil sie in ihrer Trauerarbeit versagt hat. Als sie verzweifelt durch die Straßen irrt und an Denkmälern unerlaubterweise Partezettel des Verstorbenen anbringt, wird sie zur Verrückten abgestempelt. Die Nachtigall erzählt hingegen von Priska, die nach Rom geflüchtet ist, nachdem sie ihrem Ehemann rachsüchtig den geliebten Hund, ekelhafterweise, zum Essen serviert hat. Auf der Spurensuche nach der vermissten Freundin Philina fantasiert sie bereits von einer berauschenden Wiedervereinigung.

Herrlich offen thematisiert Isabella Breier die Instrumentalisierung von Sexualität in einer Sexszene, in der Priska ihren verräterischen Ehemann zum Lustobjekt degradiert. Die enge Freundschaft zwischen Priska und Philina erweckt nicht nur die Eifersucht von Timo, sondern auch Gerüchte um eine sexuelle Beziehung der Frauen. Die Männerfreundschaft von Timo und Paul wird ebenso sexualisiert. Paul kann die platonische Grenze lustgetrieben nicht mehr wahren. Isabella Breier erzählt in Prokne & Co. von Freundschaften der originellen Art.

Originell ist auch die Form des Romans Prokne & Co. Mit „Wie das angefangen habe?“ ist Philina der Romanbeginn gewidmet, während man über Priska von der anderen Buchseite aus lesen muss, ehe sich die beiden Geschichten relativ in der Mitte treffen. Die zwei formal getrennten Erzählstränge sind aber inhaltlich eng miteinander verwoben.
Die grotesken Figuren erwecken bei uns Leserinnen und Leser Abscheu und Mitleid zugleich. Ebenso zwiespältig ist der Sprachstil von Isabella Breier, der zwischen alltäglichen und gehobenen Ausdrücken variiert, wie „Dodel“ und „exaltiert“. Moderne Schimpftiraden enthalten freilich vulgäres wie „Arsch“. Anglizismen wie „showdown“ oder „shit happens“ und ein paar italienische und französische Vokabeln sowie Nonsense-Ausdrücke und Eigenschöpfungen wie „Philosophenvogel“ vervollständigen das sprachliche Potpourri. Nach einer leichten Verwirrung zu Beginn der Lektüre aufgrund der Dichtheit an Worten, Motiven und intertextuellen Bezügen, gewöhnt man sich an die Vielfalt und lernt Isabella Breiers groteske Erzählweise zu schätzen. Sie sorgt nämlich für unglaubliche Lebendigkeit.

Die leitmotivische Frage des Romans Prokne & Co. lautet: „Stehen Sinne, steht Zeit still im Nu?“ In Rom scheint die Zeit stillzustehen. Alle besinnen sich auf die Wiedervereinigung der Freundinnen.
Isabelle Breier ist mit ihrem Debüt ein Kunstgriff geglückt, der uns Leserinnen und Leser neugierig zurücklässt, ob sie bei einer erhofften Fortsetzung ihrer grotesken Erzählweise treu bleiben wird.

Roman.
Klagenfurt, Wien: kitab, 2013.
300 S.; brosch.
ISBN: 9783902878151.

Rezension vom 30.04.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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