#Roman
#Debüt

Proben

Tara Meister

// Rezension von Daniela Chana

In ihrem Debütroman Proben erzählt die 1997 geborene Autorin Tara C. Meister von einer ungewöhnlichen Frauenfreundschaft und einem Lebensentwurf abseits des traditionellen Familienbildes.

Im Mittelpunkt stehen zwei Freundinnen, die sich gegenseitig gleichermaßen anziehen wie abstoßen. Caro, die Rationalere der beiden, hat Biochemie an der Technische Universität Wien studiert und arbeitet in einem Labor an ihrem Dissertationsprojekt. Johanna kellnert in einem schäbigen Café mit überhöhten Preisen und träumt von einer Karriere als Theaterregisseurin. Obgleich die beiden sich in völlig unterschiedlichen Welten bewegen – die eine in der Naturwissenschaft, die andere in der Kunst –, führt jede auf ihre eigene Art ein unstetes Leben: Wohnsituationen und Beziehungen sind nur Übergangslösungen, und auch beruflich ist keine der beiden so richtig angekommen. Als Johanna nach einem One Night Stand schwanger wird, gibt Caro kurzerhand ihr WG-Zimmer auf und zieht bei der Freundin ein, um sie zu unterstützen.

Interessant ist, dass wir es hier nicht mit einer kitschigen, vorhersehbaren Liebesgeschichte zu tun haben; die Story, die erzählt wird, dreht sich tatsächlich „nur“ um Freundschaft. Die beiden Protagonistinnen sind kein Paar, und dennoch wollen sie diesen Weg der Schwangerschaft und Elternschaft gemeinsam gehen. Nachdem Caro die Entscheidung getroffen hat, ihrer schwangeren Freundin zur Seite zu stehen, verändert sich auch in ihr etwas, wie ihr Arbeitskollege sofort bemerkt:

Du leuchtest, sagte Felix zu ihr, als Caro am vierten Tag wieder ins Labor kam, und in Gedanken antwortete Caro: Ich bekomme ein bisschen ein Kind.“ (S. 66)

Eingeflochten in die Handlung sind immer wieder Szenen aus den Proben zu dem Theaterstück, das Johanna mit einer Gruppe von Laienschauspieler:innen aufführen möchte und das von der Suche nach einer verschwundenen Frau handelt. Das Verschwinden von Frauen kristallisiert sich nach und nach zu einem zentralen Thema des Romans heraus: So wird schnell klar, dass Johanna durch die verbissene Arbeit an dem Stück verzweifelt versucht, ihren Schmerz über die häufige Abwesenheit der eigenen Mutter aufzuarbeiten. Johanna selbst wiederum ist für Caro oft nicht erreichbar, bleibt tage- und nächtelang der gemeinsamen Wohnung fern, sogar die geliebte Hauskatze Minusch läuft zwischenzeitig für eine Weile davon, und auch Caro übt sich vorübergehend im Verschwinden. Diese kleinen Rollentäusche bzw. Platzwechsel – mal ist die eine weg, dann die andere –, hätten eventuell Potenzial für eine interessante, philosophische Meta-Ebene geboten, werden aber von der Autorin in der Folge nicht weiter aufgegriffen.

Schön herausgearbeitet ist die Ambivalenz der Freundschaft zwischen Caro und Johanna. Die beiden Frauen müssen sich häufig über einander ärgern, verletzen einander, streiten, und trotz ihrer außergewöhnlichen Nähe können sie einander nie ganz verstehen. Caro, die Strukturierte und Ordentliche, räumt und putzt ständig hinter ihrer Freundin her, die zwischenzeitig immer mehr zu verlottern scheint. Während Caro in einer wohlhabenden Familie am Land aufgewachsen ist und zumindest materiell mit allem versorgt wurde, was ein Kind braucht, ist Johanna bei der Schwangerschaftsuntersuchung nicht einmal imstande, Auskunft über ihre Impfungen zu geben, da sich in ihrer Kindheit niemand um solche Dinge gekümmert hat. In diesen Szenen wird deutlich, was sich als Kernaussage durch den gesamten Roman zieht: nämlich, dass Freundschaft oft ein „Trotzdem“ ist. Hier sind der Autorin einige berührende Momente gelungen, die vor allem deshalb überzeugen, weil darin der Realismus über den Kitsch triumphiert. Dennoch bleibt manchmal rätselhaft, was genau die beiden eigentlich miteinander verbindet oder was sie in der jeweils anderen zu finden hoffen.

Eine der Stärken des Romans liegt in den pointierten Dialogen und Begegnungen zwischen den Figuren – wie bereits die oben zitierte Szene zeigt. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund, weshalb Proben durchgehend an eine unterhaltsame, schwungvolle Fernsehserie erinnert: Indem sich die Handlung über ein gutes Dreivierteljahr zieht – also praktisch die Dauer der Schwangerschaft –, entsteht so etwas wie ein Episodencharakter. Wenn Johanna in einer Szene ganz beiläufig sagt: „Sven ist übrigens sauer, weil du ihn einfach so geküsst hast. Musste das sein?“ (S. 126), gewinnt dies dadurch an Witz, dass wir die Figuren bereits über einen längeren Zeitraum begleiten und kennenlernen durften, eben wie in einer Serie. Tatsächlich würde auch das Ende durchaus Potenzial für eine Fortsetzung bieten.

Der Roman fängt einen alternativen, post-studentischen Vibe ein, der vermutlich auf ein jugendliches Publikum ausgerichtet ist: Die Toilettentür des Cafés ist mit bunten Stickern voll geklebt, die Laienschauspieler:innen essen bei der Theaterprobe Pistazien, die „gedumpstert“ (also nachts aus einem Supermarktcontainer entwendet) wurden, im Stammrestaurant bestellen die Figuren Tofu-Bowls, in der Arbeit möchte die kurzhaarige Caro vermeiden, als Frau wahrgenommen zu werden. Dieses Setting wird nicht jede:n ansprechen, weshalb absehbar ist, dass die Autorin mit ihrer Botschaft eher jene Leser:innen erreichen wird, bei denen sie ohnehin offene Türen einrennt.

Interessant ist der Kontrast zwischen der poststudentischen Lebenswelt und jener von Caros Herkunftsfamilie im Bauernhaus in Kärnten, in die wir kurze Einblicke erhaschen, als Caro zu Weihnachten und Ostern einige Tage dort verbringt. Leider wird zu wenig herausgearbeitet, warum sie von dort so fort wollte. Die Konflikte in ihrer näheren Verwandtschaft werden nur sehr beiläufig gestreift und dann leider gleich wieder fallengelassen.

Tara Meister hat mit Proben einen stimmigen, vergnüglichen Unterhaltungsroman geschrieben, der den Zeitgeist einfängt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 

Daniela Chana, geb. 1985 in Wien, promovierte an der Universität Wien im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft. Ihr Gedichtband Sagt die Dame (Limbus Verlag), wurde 2019 unter die Lyrik-Empfehlungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gewählt. 2021 folgte, wieder bei Limbus, der Erzählband Neun seltsame Frauen, der Chana eine Nominierung auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises eintrug. Für die Tageszeitung Die Presse schreibt sie regelmäßig Essays über Themen des Alltags und der Literatur.

Tara C. Meister Proben
Roman.
Wien: Residenz Verlag, 2024.
256 Seiten, Hardcover.
ISBN: 9783701717842.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin

Rezension vom 03.05.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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