Nur logisch, dass bald versucht wurde, „Pop“ genauer zu definieren. Etwa über die handelnden Personen: Waren diese Teil einer Inszenierung für Medien und Leser, galt das dann als Pop – wie z. B. bei Stuckrad-Barre, der sich model-like für diverse Hochglanzmagazine ablichten ließ. Doch worin besteht der wesentliche Unterschied zwischen einer Inszenierung à la Boygroup und den wohldosierten medialen Auftritten von Altvater Thomas Bernhard? In der Frequenz? Schwer zu sagen. Leichter schien es da schon, Pop über den Stoff zu definieren, um den es geht. Schreiben über U-Musik, Coca-Cola, MTV oder Kleidung, kurzum: Oberflächenphänomene – das ist Pop. So wurde der Begriff denn gleich als Negativ-Attribut verwendet: Kritiker setzten die Beschreibung von Oberfläche mit der gedankenlosen Affirmation von Oberflächenkultur gleich, eine Gedankenlosigkeit ihrerseits, mit der einst schon die Vertreter der Pop-Art zu kämpfen hatte. Die strenge Trennung von „hoher“ und „U-Literatur“ feierte fröhliche Urständ, Iris Radisch verbannte die Texte von Rainald Goetz oder Christian Kracht dorthin, „wo sie ohnehin herkommen: in den Abfall“.
Wie auch immer, die Diskussion darum, was genau oder wie gut denn Pop-Literatur sei, stand bis vor einiger Zeit ganz oben auf den Feuilletonseiten, ist aber mittlerweile deutlich abgeflaut. Dirk Knipphals beschrieb dies in der „taz“ mit den bissigen Worten: „Thema tot. Und schon kommt die Germanistik daher“. Ganz so schlimm, wie es sich anhört, ist das nun auch wieder nicht. Zumindest im Falle des „Pop-Literatur“-Bandes der Reihe „Text und Kritik“. Denn das Buch geht allen erdenklichen Facetten von „Pop-Literatur“ nach. Und erinnert zum Beispiel daran, dass es schon vor mehr als dreißig Jahren im deutschen Sprachraum eine ähnliche Diskussion gab: Ende der 1960er Jahre wurde etwa die „falsch Verpopung“ durch Peter Handke, Rolf Dieter Brinkmann und Elfriede Jelinek (!) beklagt (S. 11). Auch den Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Pop-Begriffes wird in einigen Aufsätzen nachgegangen: Von der amerikanischen Literatur der 1950er / 1960er Jahre („Beat“) über die Underground-Literatur der 1960er/ 1970er Jahre und Off-Szenen wie die „Slam Poetry“, die ab den 1980er Jahren in den USA unerhörte Kreativität freisetzte und aus herkömmlichen Dichterlesungen Pop-Veranstaltungen im besten Sinne machte, bis hin zum deutschen Tristesse-Royal-Quartett der 1990er Jahre reicht der Bogen.
Wobei es dem Leser des Bandes aufgrund der Fülle des Stoffes passieren kann, dass ihm wie (bei einem fetzigen Pop-Song) der Kopf ein wenig zu brummen beginnt: Worin bestanden noch einmal die Gemeinsamkeiten zwischen der Beat-Literatur und Stuckrad-Barre? Ach ja, in der Protesthaltung. Sei es in Form von Protest gegen die etablierte Gesellschaft (Beat) oder eben als Protest gegen die sogenannte Protest-Haltung der etablierten (Links-)Intellektuellen (Stuckrad-Barre, ein Vertreter der Gegengegenkultur). Was deutlich zu Tage tritt, sind die Unterschiede, etwa verlagsgeschichtlicher Art zwischen den Pop-Texten, die in ausgewiesenen Underground-Verlagen erschienen sind, und solchen, die von renommierten Häusern (Suhrkamp, Fischer etc.) herausgebracht wurden. Auch thematisch ist bei Pop im weitesten Sinne alles erlaubt – wie man denn auch eine Tom Waits-CD genauso im Pop-Regal finden kann wie DJ Ötzi. Kurzum: das vorliegende Buch widersteht letztlich dem Versuch, Pop definieren zu wollen. Dafür liefert es interessante Fundstücke aus der Literaturgeschichte dies- und jenseits des Atlantiks. Zum Beispiel die überaus tolerante „Pop“-Definition von Pete Townshend, dem Gitarrist der Gruppe The Who: „It is re-presenting something the public is familiar with, in a different form.“