#Lyrik
#Prosa

ping pong

Waltraud Haas

// Rezension von Lydia Haider

Ein Lyrik- und Prosaband, der den Titel ping pong trägt: Was könnte sich dahinter verbergen? Sprachspielereien ließen sich vermuten, etwas Experimentelles oder formal Wagemutiges, möglicherweise konkrete Poesie – doch das alles findet sich nicht in dem Band, vielmehr überrascht die Sammlung mit „klassischen“ und dennoch vielfältigen Texten, weniger ihre Bauweise und mehr die Inhalte betreffend. Für Lyrik typische Innensichten, Befindlichkeiten und auch Zwischenmenschliches sind Bestandteil der Textsammlung (S. 33: ich lasse dich // in meine seele schauen / du läßt mich / in deine seele schauen / wir schlagen / purzelbäume / vor entsetzen), wie ironisch Überzeichnetes (S. 25: vor dem abgrund / meine altvorderen // sie winken mich / begeistert / durchs ziel) als auch (sozial)kritische Auseinandersetzungen (S. 28: die welt brennt //und die sintflut kommt // ich bin auserwählt / dank meiner grünen augen // ich zupfe noah am bart).

ping pong ist ebenso der Titel oder vielmehr das Thema des ersten Gedichts (S. 8: ping // ich spiele / mit meinem kopf // pong // er fängt sich / im netz). Im Großen – der Titel des Gesamtbandes ist der Titel/das Thema des ersten Textes – verhält es sich so wie im Kleinen: Die Titel sind so gut wie immer bereits Teil des Gedichts. Es handelt sich nicht um zusammenfassende oder metasprachliche Überschriften, vielmehr stellt der Titel die abgetrennte erste Zeile oder den Anfang des Textes dar und ist daher für das Gesamtverständnis unumgänglich (S. 45: das unvorhergesehene // hält mich aufrecht / tag für tag) – es scheinen die Titel mit den Texten um die Vorherrschaft zu ringen. Auf formaler Ebene ist, neben der konsequent durchgehaltenen Kleinschreibung, dies wohl am auffälligsten.

ping pong verweist gleichermaßen auf das Hin- und Herspiel zwischen Realwelt und der Traum- bzw. Erinnerungswelt, deren zwei Felder oder Seiten sich auch in der Textsorte zeigen: Während der Lyrikteil die schon genannten Bereiche wie Innensicht oder Sozialkritik abdeckt, bewegen sich die Texte im Prosateil im Gruselig-Traumartigen, auch Kafkaesken. Ob das Geschehen nun tatsächlich so passiert, ob hier jemand träumt oder sich erinnert verschwimmt vielfach und lässt die Lesenden im Unaufgelösten zurück. Es geht um Familientragödien, um brutale, kritische und ebenso metaphorische Bilder, um Absurdes und gleichzeitig so Unschuldiges (S. 84: meine mutter hackt mir den kopf ab und stellt ihn auf den küchentisch. in meinen mund steckt sie eine rote rose aus dem garten. dann schließt sie sanft meine augen.). Eine Kindheit wird aufgerollt, bestimmte Orte genannt („hetscherlberg“ S. 61 und 71) oder Musik („love in vain“ S. 56 und 93) und ein weites Feld an unterschiedlichsten Empfindungen aufgemacht.
Freilich sind die Themenbereiche nicht scharf auf die Textsorten aufgeteilt: Es findet sich das Erinnern und das Groteske auch im Lyrik-Teil, wie etwa in folgendem Text, in dem jemand spricht, der sich aufgelöst haben müsste (S. 26: meine mutter // wird schwanger / heiratet / versorgt das neue haus / und vergißt ihr kind / das sich in luft / auflöst).

Eine gewisse Lust am Untergang, wie sie typisch für die österreichische Literatur ist, kann ebenso verortet werden (S. 42: auf einer steintreppe // in venedig / bis zu den fesseln / in aqua alta / warte ich / daß es sinkt). In diesen Bereich des Morbiden, ironisch gebrochen und kritisch, fällt auch der Text auf Seite 17: sie fahren alle mit dem mercedes / demolieren alle ihre wohnung / kriegen alle alles geschenkt / schreit er / wird blau im gesicht / und fällt tot um.
Aber auch in einzelnen Wendungen wie „die seele / aus dem leib / knipsen“ (S. 43) oder „unter dem Strick / bleibt / die heilige familie“ (S. 39) zeigt sich dies.
Ein Text bringt das Morbide, das Traumartige und auch Familientragische sowie Zwischenmenschliches und das Innere – also alle im Gesamtband vorhandenen Themen – auf gelungene Weise zusammen: Jener auf Seite 81, der auch als Leseprobe verfügbar ist.

Radikalität, die sich in Erinnerungsminiaturen zeigt, und mit Ironie oder absurden Elementen gebrochene Sozialkritik in unterschiedlichsten Facetten: Das sind die Stärken dieser Texte.

Waltraud Haas ping pong
Lyrik und Prosa.
Wien: Klever Verlag, 2016.
96 S.; brosch.
ISBN 978-3-903110-01-4.

Rezension vom 27.06.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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