Dieses versucht nämlich neben verschiedenen Aspekten des malenden und schreibenden Künstlers, dem Werk und der Biographie auch gleich Kontexten von Kontexten nachzugehen. So wird der Briefwechsel Kubin / Piper biographisch, kulturhistorisch ausgeleuchtet (schließlich verband auch Herzmanovsky-Orlando mit Kubin Freundschaft und intensiver Briefverkehr) und ein Abschnitt einer Franzobel`schen Erzählung präsentiert (weil, „auch bei ihm, in diesem seltsamen Surrealismus auf österreichisch, immer etwas ausrastet, die Sprache Amok läuft, alles ins Kraut schießt“ S. 191). Sicher mögen wir Franzobel und seine literarischen „Durchdrehsituationen“ (ebda.). Aber Herzmanovsky-Orlando, den senioren „Chronist der Raserei“ (ebda.) mögen wir auch und seine Bücher können wir nicht einmal kaufen. Wenn es stimmt, dass es eine Frage der Intelligenz ist, Herzmanovsky-Orlando zu lesen, wie Wendelin Schmidt-Dengler bei der Buchpräsentation formulierte, dann stellt sich auch im Kontext dieses Buches die Frage, warum wir nicht mehr von ihm selbst zu lesen bekommen.
Darauf Lust machen jedenfalls einige der hier zum 50. Todestag des Autors versammelten Aufsätze, die sich bis auf eine kurz und bündige Hommage des Künstlerkollegen Paul Floras ausschließlich mit der literarischen Arbeit des Autors befassen. Astrid Wallner tritt den simplifizierenden Rezeptionen, die alles „Herzmanovskysche“ (eigentlich Torbergisch Bereinigte) als skurril und grotesk abtun, entgegen und arbeitet anhand mehrerer Texte den Mythos als poetisches Strukturprinzip heraus. Als gleichermaßen fündig erweist sich Schmidt-Denglers Suche nach der Herzmanovskyischen Poetik, die er im fragmentarischen Charakter der Prosa nachweist, im avantgardistischen Kontext verortet (und damit würdigt) sowie zeigt, wie die spezifische Kombination bizarrer Komik „mit dem Schrecken in unseren Tagen an Monthy Python erinnern mag“ (S. 59). Dass die weihevolle Präsentation von Ideologie und deren beliebtes esoterisches Vehikel „von den Sprengsätzen der komischen Phantasie zerschlagen“ werden, wie A. Wallner formuliert (S. 114), zeigt sich auch in Herzmanovsky-Orlandos originärer Bearbeitung der Geschichtsschreibung. Ausgesprochen informativ liest sich hierzu der Beitrag Klaralinda Mas, in dem sie nicht nur den exzellenten Verdichter verifizierbarer und fiktionaler Versatzstücke, sondern auch den Ziegelbaumeister zur Sprache bringt. Nur vor dem Hintergrund der Stadtgeschichte, die die Beiträgerin detailliert skizziert, sind Herzmanovsky-Orlandos Wiener Wohnhäuser in seinem Gesamtschaffen einordenbar: Ähnlich seiner poetischen Antizipation avantgardistischer Formen nimmt er nämlich auch hinsichtlich des zeitgenössischen architektonischen Diskurses Bauweisen vorweg. Wer nur die von Friedrich Torberg verniedlichten Textversionen kennt, wird fälschlicherweise annehmen, dass Herzmanovsky Orlando verspielte Wohnhäuser à la Hundertwasser konstruiert haben könnte.
Im Gegensatz zur architektonischen Strenge und Eindeutigkeit – jedoch ebenso widersetzlich und streitbar – steht die Sammelleidenschaft des Autors, die sich auch für sein poetisches Schaffen als konstitutiv erweist. Scharfsinnig und pointiert zeigt Juliane Vogel, wie Herzmanovsky-Orlandos Objekte „zwischen Sammlung und Unrat, Ordnung und Ausschuss, Form und Formverlust, Preziose und Fäkalie“ schwanken (S. 63) und die Grenze zwischen Erinnern und Vergessen zum Verschwinden bringen. Unter Berufung auf Freud und die Psychopathologie der spätbürgerlichen Zeit kommt sie zum Schluss, dass Sammeltrieb und Auswahl der Objekte eine auffällige Neigung zur Analität aufweisen. Von derselben Fixierung lesen wir im Aufsatz Karin Ricks, die sich den behüteten, keuschen Protagonisten und deren puerilen Geliebten widmet. Wider Erwarten resümiert die Wissenschaftlerin, dass Herzmanovsky-Orlando bei seinen Frauengestalten ganz Kind seiner Zeit gewesen sei: Keine Verweise auf Bahnbrechendes finden sich, die auf jene „Grundidee seines gesamten Werks“ abzielen könnte, die die HerausgeberInnen im Einsatz für die „mutterrechtlichen Ordnungen“ sehen (denen sie jedoch keinen Beitrag widmen). Genialität ortet K. Rick hingegen in den Narrationstechniken wie auch in der Bearbeitung der Staatsordnungen, wovon im Buch jedoch kaum etwas zu lesen ist. Ebenso irritiert etwas die Tendenz zur Hofierung des Privaten, des Biographischen, die nahelegt, dass sich die titelgebenden „Abwege des Phantastischen“ nun doch leichter in Briefen und Lebensverlauf abschreiten oder etappenweise über viele kleine Bildchen nachvollziehen lassen, als im Gang durch das strüppige Oeuvre.
Neben den curricularen Zugängen und neben der Auffindung von poetischen Sonderwegen und Abzweigungen, der literarhistorischen Kontextualisierung, wofür bezüglich Prosa und episierender Dramen durchaus interessante Thesen geliefert werden, erweist sich die dritte Route als sehr mühsam: Klaralinda Ma, eine der Herausgeberinnen der sehr bald vergriffenen kritischen Ausgabe, reflektierte bei der Buchpräsentation „das Problem der Kommentierung, um diese Sachen aufzulösen: dass man ins Endlose gehen müsste …“ Wer dafür nicht willens ist, dem mag zwischenzeitlich der Gang in die Buchhandlung genügen, wo das vorliegende kulinarische Büchlein über den Autor hoffentlich noch vor der nächsten Jubiläumsausgabe neben Büchern des Autors zu stehen kommen wird.