Zu letzterem ist das bei Jung und Jung erschienene Begleitbuch zur im Dezember 2017 eröffneten Dauerausstellung zu Peter Handke im Kärntner Stift Griffen zu zählen. Herausgegeben wurde es von Katharina Pektor, die auch als Kuratorin der Ausstellung verantwortlich zeichnet. Erfüllt die Ausstellung nur ansatzweise, was das Begleitbuch leistet, ist sie ein Muss für jeden Handke-Interessierten. Der 300 Seiten starke Band ist eine wahre Fundgrube für jeden, der sich mit dem Schriftsteller und seinem Werk befassen möchte. Von einem Handke-Lexikon zu sprechen ist kaum übertrieben. Der Band ist chronologisch in Jahrzehnte gegliedert, bis auf den ersten Teil, der Handkes Kindheit und Jugend, von 1942 bis 1961 begleitet. Damit ist das Begleitbuch anders strukturiert als die Ausstellung, die acht thematische Stationen umfasst und das Werk stärker von Biographischem trennt. Jeder Teil beginnt mit einer Chronik der wichtigsten Ereignisse. Es folgen Texte über topographische und persönliche Stationen seines Lebens, von Griffen über Berlin, Graz, Düsseldorf bis nach Frankreich, illustriert mit unglaublich vielen Fotos, von Baby- und Familienfotos, Reisefotos, bis zu Schnappschüssen und Auftrittsbildern. Allein das Zusammentragen dieser Menge an Material aus mittlerweile fast acht Lebensjahrzehnten, ist eine Leistung für sich. Buchcover, Filmposter, Aufführungsfotos von Inszenierungen, Faksimiles von Manuskripten, Zeitungsartikeln, Schulzeugnissen, Postkarten und vielem mehr sind optisch ausgesprochen ansprechend zusammengestellt und auch sehr abwechslungsreich. Man kann schnell drüber blättern, oder sich in Details verlieren. Dann lernt man zum Beispiel, dass schon der junge Handke schriftstellerisches Talent bewies. Ein „Sehr gut“ prangt da unter der Deutsch-Schularbeit 1956, nur dass man Schloß mit ss schreibt, das muss er noch lernen. Nicht nur für Editionswissenschaftler, aber für die wahrscheinlich besonders, sind die vielen abgebildeten Manuskripte interessant. Handke schreibt, so scheint es, fast ausschließlich von Hand, fein säuberlich und gut lesbar, später kommen Anmerkungen, Streichungen und Änderungen hinzu. Falls die Art zu schreiben, die Art zu denken abbildet und beeinflusst, ist Handkes Denken sehr strukturiert und genau. Seine präzise und elegante Sprache passt jedenfalls zum abgebildeten Entstehungsprozess.
Der Begleitband ist Biographie, Bildband und Werkverzeichnis in einem. Einen besonderen Mehrwert liefern die Beiträge von Handke-Kennern und Weggefährten, die verschiedene Themen vertiefen: Andreas Unterweger schreibt über Handkes Beiträge für die Zeitschrift manuskripte, Hans Höller wagt sich daran, Handkes Kunst des Erzählens greifbar zu machen, Evelyne Polt-Heinzl wendet sich dem Konzept des Lesens zu, Kurt Krenn geht auf die Filme, Thomas Oberender auf das Theaterschaffen ein. Dem enthusiastischen Handke begegnet man bei Michael Krüger, der amüsant beschreibt, wie der Petrarca-Preis 1974 im Garten von Hubert Burda mehr oder weniger zufällig ins Leben gerufen wurde. So werden auch sonst eher unbeachtet gebliebene Seiten Handkes beleuchtet, etwa seine Tätigkeit als Übersetzer, die Vanessa Hannesschläger in ihrem interessanten Beitrag würdigt. Umgekehrt taucht Zarko Radakovi?, Handkes langjähriger Übersetzer ins Serbische, in Handkes Sprache ein und ergründet dessen Faszination für den Balkan.
Großartig ist auch der 4-seitige, ausklappbare Stammbaum, mit (wo verfügbar) Fotos von Handkes Familienmitgliedern, zurückgehend bis ins 18. Jahrhundert. Darin steckt ein enormer Rechercheaufwand und die schöne Idee, dem Leser des Katalogs wie ein Personen-Lexikon die Orientierung zu erleichtern und Personen auf den Fotos ev. wiederzufinden. Ein besonderes Schlaglicht wird auf Handkes Heimatgemeinde Griffen und das dort ansässige Stift geworfen. Auf den Spuren Handkes werden das Stift und Handkes Geburtsort Altenmarkt porträtiert, was besonders für die Ausstellungsbesucher von Interesse sein dürfte.
Was fehlt, ist eine kritische Einordnung der Kontroversen rund um den 1996 erschienenen Essay Gerechtigkeit für Serbien. Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina sowie um Handkes Einsatz für Slobodan Miloševi? – kritisch im Sinne von durchdacht, nicht im Sinne von urteilend. Das fällt umso mehr auf, da der restliche Band akribisch genau ausfällt. Anders als auf der ebenfalls von Katharina Pektor unter der Leitung von Klaus Kastberger betreuten Plattform „Handke online“, wo ausführlicher auf Handkes skandalisierte Positionierung eingegangen wird, findet sich nur ein kurzer Eintrag in der Chronik zu Handkes Auftritt als Trauerredner bei der Beerdigung Miloševi?s im März 2006 (S. 241). Zu den Diskussionen um den Essay heißt es überhaupt nur, der in der Süddeutschen Zeitung veröffentliche Text habe „weltweite Reaktionen“ (S. 205) ausgelöst, nicht aber, was der Stein des Anstoßes war. Das ist doch etwas wenig. Natürlich behandelt die Ausstellung nicht vordergründig die Rezeption Handkes, doch handelt sich bei den Kontroversen um einen nicht unbedeutenden biographischen Aspekt, den man, ohne Stellung zu beziehen, wertfrei skizzieren hätte können, ohne ihm den übermächtigen Raum einzuräumen, der lange Zeit die Rezeption Handkes prägte. Das hätte der Darstellung von Leben und Werk einen besseren Dienst erwiesen, als eine so offensichtliche Aussparung. Gerade ein Buch, das das immense Werk Handkes so eindrucksvoll wie neutral darstellt, hätte die tatsächliche Bedeutung dieser Debatten im Kontext von Handkes Schaffen in eine angemessenere Perspektive rücken können.