#Prosa

Pathos und Schwalbe

Friederike Mayröcker

// Rezension von Alfred Warnes

Die Sommermonate des Jahres 2015 muss Friederike Mayröcker im Krankenhaus verbringen. Wochenlang ist sie abgeschnitten von ihrer papierenen Schreibhöhle, dem legendär gewordenen Gehäuse ihres Poesiewerks. Das Schreiben in der fremden, ungewohnten Umgebung ist unmöglich, nicht weil die lästigen körperlichen Gebrechen die Dichterin daran hindern, sondern weil das fortwährende Flüstern und Wispern der sich aneinanderschmiegenden Zettel und Blätter nicht hörbar ist, dem jene Wort- und Satzkonzentrate abgelauscht werden, die den einzigartigen Mayröcker-Sound erzeugen. Die Dichterin behilft sich auf ihre Art, mit einem beständigen „Kritzeln“, einem Protokoll der einförmigen Tage: „verbringe die Tage mit Lesen Schlafen Essen“. Kaum zurück in ihrer Klause, verspinnt und verwebt sie die Notate zu jener unvergleichlichen Poesie, die „dicht wie ein Felsen und zart wie die allerzarteste Membran“ (Klaus Kastberger, Die Presse) ist.
Pathos und Schwalbe, das neue Buch von Friederike Mayröcker, ist Radikalität und Unbeugsamkeit, ist Überfluss und Präzision. Und es ist das bewegende Zeugnis eines Lebens, das nur ein Ziel kennt: „ich müszte den ganzen Tag für mich haben um unbändig, ich meine schreiend, schreiben zu können.“
(Suhrkamp Verlag)

Friederike Mayröcker fügt ihrem umfangreichen Werk auch im hohen Alter jedes Jahr ein neues Buch hinzu, erst 2016 wurde ihre euphorische Schreiblust mit dem Österreichischen Buchpreis gewürdigt. Zeitlich, formal und atmosphärisch schließt Pathos und Schwalbe an den von Jacques Derridas Werk „Glas“ inspirierten Vorgängerband fleurs an, dort enden die Aufzeichnungen im Mai 2015, nun datiert der letzte Eintrag im September 2017.
Mayröckers Schreiben, das sich weder genremäßig noch thematisch fassen lässt – Stimmungen, Umgebungen, Eindrücke, Erinnerungen, Töne und Farben ergeben ein Flirren, das an ein impressionistisches Bild erinnert –, ist in „Pathos und Schwalbe“ durchgehend datiert und dadurch an seiner Oberfläche in kleinere Textfelder unterteilt, die beim Lesen, das hier unweigerlich zum Schweifen der eigenen Gedanken führt, Orientierung bieten. Die Autorin zählt in ihrem fortschreitenden Existenzprotokoll erstmals die Tage, die ihr noch zum Arbeiten bleiben werden und intensiviert in ihrer Sprache die Wahrnehmung der uns umgebenden Welt und Natur.

Ein paar Zeilen Mayröcker pro Tag (mögen sie auch anfangs noch so verwirrend neu sein, sie entschuldigt sich sogar dafür – haltet durch, Leser!) … nur ein paar Takte von ihr, und man sieht intensiver.
Die Blumenbeete am Nachthimmel. Eine Meise im Gefieder des Baumes. Blitze im Schnee.

Und man hört intensiver. Das Atmen des Waldes. Schubert. Erlauchte Rülpser.

Man lebt dann vielleicht sogar intensiver: „ich weinte Tulpenküsse“

(Peter Pisa, Kurier, 13. März 2018, S. 23)

Zum tieferen Eintauchen in das Universum Friederike Mayröcker empfehlen wir nicht nur unsere , sondern nachdrücklich das ganze Buch, mit dem die 93-jährige Grande Dame der österreichischen Literatur erneut ein starkes Lebenszeichen setzt.

Friederike Mayröcker Pathos und Schwalbe
Prosa.
Berlin: Suhrkamp, 2018.
265 S.; geb.
ISBN 978-3-518-22504-2.

Rezension vom 10.04.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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